Eva Zahn & Volker A. Zahn
Drehbuchautoren



Aktuelles


Am 7. Mai um 20, 15 Uhr erzählt das neueste Kriminaldrama von Eva Zahn und Volker A. Zahn von Traumata nach erlittener Gewalt und Misshandlungen. Zwei Morde, ein entführtes Mädchen, eine Systemsprengerin auf der Flucht, und im Mittelpunkt der Kieler Hauptkommissar Klaus Borowski, der nach einer Brutalo-Attacke in Lebensgefahr schwebt und im Krankenhausbett seine ganze eigene Ermittlungsstrategie entwickelt. Nicht unbedingt zur Freude seiner Kollegin Mila Sahin…

Für ihre Inszenierung von „Borowski und die große Wut“ wurde Friederike Jehn beim „Festival des deutschen Films“ mit dem Filmkunstpreis in der Kategorie Regie ausgezeichnet, Eva Zahn und Volker A. Zahn ehrte das Festival vor der Premiere dieses Kiel-Tatorts mit dem „Ludwigshafener Drehbuchpreis“. Anlässlich der Ausstrahlung von „Borowski und die große Wut“ haben Eva Zahn und Volker A. Zahn mit dem NDR über ihre Arbeit am Drehbuch für den Film gesprochen:

NDR: Sie haben beim Ludwigshafener Filmfestival den Drehbuchpreis für Ihr Gesamtwerk erhalten. Darunter sind viele Krimis, die vor allem durch ihre inhaltliche Stärke überzeugen. Was war für Sie das zentrale Thema bei „Borowski und die große Wut“?

Eva Zahn: Uns beschäftigt oft die Frage: Wann wird ein Opfer zum Täter? Und wir lassen uns dabei auch von realen Fällen inspirieren. Anregung für diesen Tatort war der Fall eines Jugendlichen, der in seiner Familie misshandelt und erniedrigt worden war und eines Tages komplett eskalierte. Dieser Moment der Eskalation interessiert uns, die fundamentale Frage, wie viel Eigenverantwortung jemand hat, der selber Opfer war und dann zum Täter wird.

Volker A. Zahn: In vielen unserer Filme aus den letzten Jahren geht es um die Wucht traumatischer Erfahrungen. Wie gehen Menschen mit ihren Traumata um, und wie reagiert die Umwelt auf sie. Sehr oft fehlt es an Verständnis und Toleranz für Menschen mit Trauma-Erfahrungen, sie sind „schwierig“, überfordern ihre Nächsten, provozieren oft Widerspruch und Ablehnung, und dieses permanente Gefühl, nicht liebens„wert“ zu sein, kann irgendwann in Gewalt umschlagen. Gegen sich selbst oder, wie im Fall unserer Hauptfigur Celina, auch gegen andere. 

Celina hat in ihrer Familie Gewalt und emotionale Kälte erlebt. An einer Stelle des Films wird vom „Abgrund Familie“ gesprochen. Warum interessiert Sie das?

Eva Zahn: Weil Ausbrüche von Gewalt in einem System, das vom Anspruch her auf Liebe und Zuneigung fußt, natürlich besonders spannend sind. In unserer Gesellschaft wird die Familie gerne als Hort von Geborgenheit und Sicherheit gesehen. Aber die Realität ist leider oft eine andere. Die schlimmste Gefahr für Kinder und auch für Frauen lauert in der Familie. Gewalt und traumatisierende Erlebnisse finden häufig innerhalb der eigenen vier Wände statt.

Bei diesem Tatort haben Sie allerdings eine ungewöhnliche Form gewählt, weil wir die vermeintliche Täterin Celina gar nicht sehen. Borowski ist ausgeknockt und kann nur über das Telefon ermitteln. Welche Chancen eröffnen sich durch diese Reduktion der Handlung?

Volker A. Zahn: Es gibt nichts Langweiligeres als Krimis, die nach dem immer gleichen Muster gestrickt sind. Wir versuchen grundsätzlich, Geschichten für den „Tatort“ anders zu erzählen. NDR-Redakteurin Sabine Holtgreve fragte bei uns an, ob es möglich sei, eine Geschichte zu erfinden, in der Borowski einen Fall ausschließlich am Telefon löst. Das war ein sehr reizvoller Grundgedanke, aber auch eine extrem ambitionierte Herausforderung. Immerhin mussten wir dafür den ansonsten gern agil über den Bildschirm turnenden Herrn Hauptkommissar irgendwie stilllegen.

Eva Zahn: Wir haben aber immer mehr Freude an diesem Ansatz gefunden, Borowski „beschädigt“ zu zeigen. Unser Held ist selbst traumatisiert, er wurde brutal niedergeschlagen, und das macht ihn extrem sensibel, es macht ihn anfällig und schwach. Und aus dieser Schwäche heraus muss er eine neue Stärke entwickeln, um ermitteln zu können. Durch die Beschränkung auf die Telefonate ist er gezwungen, sehr psychologisch vorzugehen, seine Menschenkenntnis auszuspielen und auch Dinge von sich selbst preiszugeben.  

Gleichzeitig scheint er auch die professionelle Distanz zu verlieren und botet seine Kollegin Mila Sahin aus.

Eva Zahn: Das ist ja das Schöne, dass sich das Machtgefüge dreht. Vorher war Borowski der Boss, jetzt ist er „nur“ ein Patient. Mila wird in dieser Situation zur leitenden Ermittlerin, und das kann einer wie Borowski überhaupt nicht leiden. Er muss andere Mittel finden, um zu bestehen und trotzdem noch die Hosen anzuhaben. Das schafft er, indem er das Handy und den Kontakt zur Hauptverdächtigen als exklusives Machtinstrument nutzt. Mila hat den Nachteil, dass sie nicht persönlich mit dem Mädchen sprechen kann, ein Umstand, der sich aber auch als Vorteil erweisen kann. Und Borowski ist durch seine eigene Beschädigung sensibler, offener, ehrlicher, und er schafft es so, das Vertrauen des Mädchens zu gewinnen, er sendet auf ihrem Kanal. Er spielt diesen Vorteil gnadenlos aus, geht dabei aber auch einen Schritt zu weit.

Volker A. Zahn: Wir haben immer große Freude an wirklich gutem Schauspiel und wussten, dass Axel Milberg für so eine Herausforderung die beste Adresse ist. Unsere Kolleg*innen aus der darstellenden Abteilung wünschen sich sehnlichst Rollen, die über die berühmt-berüchtigte „Wo waren Sie gestern Abend“-Ödnis hinausgehen, und deshalb war uns klar, dass ein Axel Milberg das Potenzial dieser Rolle sofort erkennen und nutzen würde. Es macht großen Spaß zu sehen, wie er diesen Borowski spielt, der sich in einem emotionalen und körperlichen Ausnahmezustand befindet und gleichzeitig auch sehr humorvoll die Rolle des Antihelden ausfüllt.

Obwohl Borowski sich bruchstückartig wieder an die Umstände des Angriffs auf ihn erinnert, scheint er einiges durcheinanderzubringen. Können wir unseren Erinnerungen nicht trauen?

Eva Zahn: Es geht in unserer Erzählung tatsächlich auch übergeordnet um die Frage: Wem kann ich trauen? Und vor allem: Kann ich mir selbst trauen? Was weiß ich eigentlich über mich? Und es geht auch um andere existenzielle Fragen: In der Beziehung zu seiner geheimnisvollen Krankenhaus-Bekanntschaft Maren wird Borowski mit der Frage nach der eigenen Endlichkeit konfrontiert, eine Frage, die wir alle – inklusive Borowski, obwohl er jeden Tag mit dem Tod konfrontiert ist – gerne verdrängen.

Volker A. Zahn: Der Erzählstrang mit Maren ist für die Lösung des Falls völlig unwichtig, aber wir zeigen damit, wie Menschen, die mit dem Tod konfrontiert sind, auch in der sterilsten Krankenhaus-Atmosphäre noch Wege finden, ihre Würde zu wahren und das Leben zu feiern. Das war uns sehr wichtig, wir wollten dem Film damit eine poetische Note geben, und unsere großartige Regisseurin Frederike Jehn hat diese Intention auch wunderschön und mit viel Gespür für die Figuren umgesetzt.  

Mich hat der Tatort auch an den Spielfilm „Systemsprenger“ erinnert. Wie das Mädchen in dem Film hat auch Celina einen langen Leidensweg hinter sich, wurde zwischen Eltern, Pflegefamilie und Großmutter hin und her geschoben. Aber entschuldigt ihre eigene Geschichte, dass sie eine völlig unschuldige Frau vor einen LKW stößt?

Eva Zahn: Entschuldigen kann man so eine Tat nicht, aber man kann sie erklären. Und vielleicht auch verstehen. Celina hat etwas Furchtbares getan, und sie muss damit klarkommen. Die Gesellschaft ist immer sehr mitfühlend, solange die misshandelten Kinder klein sind. Aber wenn diese vernachlässigten oder misshandelten Kinder erwachsen sind, will man von ihren Verletzungen nichts mehr wissen und verlangt von ihnen ein „normales“ Verhalten. Wir zeigen, was mit so einem Systemsprenger später passieren kann. Als Geschichtenerzähler sind wir nicht dazu da, ein Urteil zu fällen.

Haben Sie denn für sich selber eine Antwort gefunden auf die Frage, wie das verhindert werden kann?

Volker A. Zahn: Wir brauchen mehr Kinderrechte, neue familien- und sozialpolitische Impulse, die Etablierung einer gewaltfreien Kultur des Miteinanders auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Aber gefragt ist auch jeder Einzelne. Wir schreiben gerade eine Serie über sexuellen Missbrauch an Kindern, und auch bei dieser Recherche zeigt sich: Nicht nur Behörden versagen oft, wenn es darum geht, Kinder zu schützen, auch in der Gesellschaft gucken viele lieber weg, um persönlichen Ärger zu vermeiden. Aber wir müssen lernen, genauer hinzugucken, in Schulen, Vereinen, Arztpraxen, in der eigenen Verwandtschaft… wir brauchen mehr Aufmerksamkeit und auch den Mut, den Mund aufzumachen, wenn es Alarmsignale gibt. Denn Kinder haben keine Lobby.

Mehr Infos zum Film gibt es unter: 

https://www.daserste.de/unterhaltung/krimi/tatort/sendung/borowski-und-die-grosse-wut-drehbuch-100.html

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Das Drama „Abbruchkante“, der zweite Köln-TATORT von Eva Zahn und Volker A. Zahn, lockte am Sonntagabend fast zehn Millionen Zuschauer vor die TV-Geräte. Und nicht nur die Quote war überragend, auch die mediale Resonanz auf die Erzählung aus  dem rheinischen Braunkohlerevier war fast durchgehend positiv.

In der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) schreibt Daniele Muscionico: „‚Abbruchkante’ ist der Braunkohle-Western, auf den man gewartet hat. Wenige Autoren wären geeigneter als die ‚Tatort‘- erfahrenen Eva und Volker A. Zahn. Ihr Buch ist ein Schaufelbagger, der tiefe Wunden aufreisst in den Seelen der Menschen dieser Ortschaften genauso wie in Natur und Landschaft. Auf dem Unterboden der deutschen Energiewende baut die Regie von Torsten C. Fischer ein schonungsloses Räderwerk aus Mystery-Film und entrücktem Kammerspiel. (…) Man wird diesen Kölner Tatort in Zukunft ein historisches Dokument nennen. So viel Aktualität und Realität war selten, und selten waren beide so unerträglich bitter.“

Auf tittelbach.tv schreibt Thomas Gehringer, dass der Film „auf herausragende Art den Tatort-Auftrag“ erfülle, „mittels einer unterhaltsamen Krimi-Fiktion auch zeitgeschichtlich relevante Geschichten zu erzählen.“ Gehringer lobt die von Eva Zahn und Volker A. Zahn „ebenso sorgsam wie sachkundig entwickelte Kriminalgeschichte“ und resümiert, dass sich dieser Film „wohltuend vom Krimi-Allerlei“ abhebe. Auf SWR 3 lobt Michael Haas eine Auflösung „voller Wendungen“, es bleibe „spannend bis zum Schluss“. Sein Fazit: „Einfach ein sehr guter Tatort, der nie vergisst, dass er ein Krimi sein soll. Sehenswert!“ „Mal wieder ein Tatort aus dem beliebten Fach der großen deutschen TV-Depression?“ fragt Claudia Tieschky in der Süddeutschen Zeitung. Ihre Antwort: „Überhaupt nicht. Denn neben der Melancholie und der Wucht, menschlich wie landschaftlich, hat die Story Spannung und feinen Witz. Dieser Niemandsland-Tatort erzählt eine wilde Geschichte über Schuld, Immobilienspekulation und Rache - ganz ohne Langeweile.“ Für Judith von Sternburg von der Frankfurter Rundschau handelt es sich um den „besten Kölner Tatort seit Menschengedenken.“ Und weiter: „Und sieh an, das Buch ist von Eva Zahn und Volker A. Zahn, die zum Beispiel auch 'Hubertys Rache' schrieben. 'Hubertys Rache' war vor fast genau einem Jahr der beste Kölner Tatort seit Menschengedenken. Aber 'Abbruchkante' ist ein Tatort, um in Tränen auszubrechen. Mehrmals. Todtraurig großartig, alles an diesem Tatort ist Gold.“

Und in der FAZ resümiert Anna Vollmer: „Dass ‚Abbruchkante‘ eine private Perspektive wählt, macht die Erzählung nicht unpolitisch. Im Gegenteil. Vielleicht ist das sogar eindringlicher, als die Geschichte einer konfliktgeladenen Räumung es gewesen wäre. Wir kennen die aufgeheizten Debatten aus Politik und Presse, kennen die Seiten, die Argumente. Weniger denken wir an die Menschen, die für die Kohle ihr Zuhause, ihr ganzes Leben aufgeben müssen. Und noch viel weniger an die, die ihre Heimat nicht gleich an der Abbruchkante, aber nichtsdestotrotz verlieren werden. Denn die Konsequenz dieser Energiegewinnung ist der Klimawandel, der das Zuhause von vielen zerstören wird. Melancholie ist da durchaus angebracht.“

Weitere Pressestimmen unter: http://www.zahns.com/pressestimmen

Und wer die lineare Ausstrahlung verpasst hat, kann den Film noch bis 26. September 2023 in der ARD-Mediathek abrufen.

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Anlässlich der bevorstehenden TV-Premiere unseres neuen Köln-Tatorts „Abbruchkante“ (am 26. März im Ersten) haben wir für die Aachener Zeitung mit dem Medienjournalisten Tilmann P. Gangloff über den Film und die Situation auf dem deutschen Fernsehmarkt gesprochen:

Gangloff: Ein WDR-„Tatort“, der im rheinischen Braunkohlerevier spielt: War das nicht schon lange überfällig?

Eva Zahn: Um ehrlich zu sein: Tatsächlich ist unser Krimi nicht der erste dieser Art. In „Schürfwunden“ aus dem Jahr 2006 haben Ballauf und Schenk schon einmal im rheinischen Tagebaugebiet ermittelt, aber damals ging es um eine komplett andere Geschichte. 

Volker A. Zahn: Davon abgesehen: Mit Blick auf die Vehemenz der klimapolitischen Diskussionen der letzten Zeit – Stichwort: Lützerath – war ein Film wie „Abbruchkante“ in der Tat überfällig; erst recht für uns als Autorenpaar, das in Köln lebt und gerne auch gesellschaftspolitisch relevante Geschichten erzählt. 

Wie haben Sie das Drehbuch entwickelt?

EZ: Wir kommen beide aus dem Journalismus und recherchieren immer intensiv, bevor wir schreiben: In diesem Fall waren wir mehrfach in der Gegend rund um den Tagebau und haben mit den Menschen vor Ort gesprochen. 

War es schwierig, den WDR von dem Thema zu überzeugen? 

VAZ: Nein. Der Köln-Tatort steht ja schließlich für Themen, die die Menschen bewegen. 

Gab es die Bedingung, dass Sie RWE nicht beim Namen nennen dürfen? Im Film ist immer nur von dem „Konzern“ die Rede.

EZ: Nein, die Nennung von Produkt- und Firmennamen ist in öffentlich-rechtlichen Fernsehfilmen und Serien eher unüblich. Außerdem erzählt der Film auch ganz generell von den Folgen einer profitgetriebenen Politik gegen Mensch und Natur, ein Problem, das nicht nur das rheinische Revier betrifft.

Neben der Krimihandlung lebt der Film vor allem von den einzelnen Schicksalen: ein altes Ehepaar, das sich umbringen will, ein Vater, dessen Tochter im Rahmen der Proteste tödlich verunglückt ist. Sind diese Geschichten authentisch?

VAZ: Sagen wir mal so: Wir sind bei unseren Gesprächen auf einige Schicksals- und Konfliktlinien gestoßen, die wir fiktionalisiert haben. 

EZ: Besonders beeindruckt haben uns dabei die traurigen Geschichten älterer Menschen, die aus dem Dorf, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht haben, vertrieben wurden. In diesem Zusammenhang war auch Suizid ein Thema. 

VAZ: Auch für den Arzt, der in unserem Krimi zum Mordopfer wird, gibt es Vorbilder. RWE hat in den Dörfern, die umgesiedelt wurden, gezielt nach Menschen mit hohem Ansehen gesucht. Honoratioren oder lokale Promis, gut vernetzte Multiplikatoren, die in der Bürgerschaft Überzeugungsarbeit im Sinne einer reibungslosen Umsiedlung leisten sollten.

EZ: Die Umsiedlung bedeutete ja immer auch einen fundamentalen Lebensbruch. Da wurden Menschen genötigt, essentielle Entscheidungen für sich und ihre Familien zu treffen: Beuge ich mich, oder leiste ich Widerstand? Kann ich es meinen betagten Eltern noch zumuten, am Lebensabend verpflanzt zu werden? Will ich verantworten, dass meine Kinder in einem verlassenen Dorf ohne Infrastruktur aufwachsen? Über solche Fragen sind Ehen und Freundschaften zerbrochen, viele Familien haben sich entzweit. Im Verlauf unserer Gespräche haben wir erkannt, dass hier nicht nur die Landschaft rücksichtslos ausgebeutet wurde. Viele Menschen sind aufgrund eines wirtschaftlich motivierten und politisch besiegelten Schicksals in einen permanenten psychischen Ausnahmezustand versetzt worden. Das hat teilweise zu enormen seelischen Verwüstungen geführt. 

Über dem Film liegt eine Stimmung, die an die David Lynchs klassische Serie „Twin Peaks“ erinnert. War das Ihre Idee?

VAZ: Ja, und zum Glück hatten wir mit Regisseur Torsten C. Fischer einen tollen Kreativpartner, der unsere Vision geteilt und unsere Geschichte großartig in Szene gesetzt hat. Als wir zum ersten Mal in die Tagebaugegend gefahren sind, hat uns die Atmosphäre umgehauen: Wunderbare Vierkanthöfe, tolle historische Wohnhäuser, prächtige Kirchen, wunderschöne Gärten: dem Untergang geweiht. Ganze Wohnstraßen mit Eigenheim-Träumen aus dem letzten Jahrhundert: verrammelt, vergammelt, teilweise demoliert. Dazwischen die wenigen Widerständler, die geblieben sind und versuchen, ein normales Leben in einer nicht normalen Umgebung zu führen. Der Sicherheitsdienst, der mit seinen Pick-ups im Auftrag von RWE durch die Dörfer patrouilliert. In diesen Geisterdörfern herrscht eine Stimmung, wie wir sie bis dahin nur aus Filmen kannten. Es war uns sehr wichtig, diese Atmosphäre zu vermitteln. 

Warum wird auch Max Ballauf von dieser Stimmung erfasst?

EZ: Im Braunkohlerevier und im Schicksal seiner Bewohner spiegelt sich Ballaufs eigenes Lebensgefühl, die Verlorenheit und Orientierungslosigkeit der Menschen dort löst etwas in ihm aus. Anders als Schenk, der in Köln und seiner Familie fest verwurzelt ist, fühlt sich der „Lonesome Wolf“ Ballauf den Menschen im Revier auf seltsame Weise verbunden, vor allem der von der großartigen Barbara Nüsse gespielten Pensionswirtin. 

Inklusive vieler Serienfolgen haben Sie vermutlich weit über hundert Krimis geschrieben. Wie schwierig ist es, sich immer wieder neu zu erfinden?

VAZ: Das ist eine echte Herausforderung, erst recht, wenn man es mit Figuren zu tun hat, die seit mittlerweile über 25 Jahren gemeinsam ermitteln. Trotzdem suchen wir jedes Mal nach Möglichkeiten, um mit den herkömmlichen Erzählmustern zu brechen, und das geht mit einem „Auswärtsspiel“ wie in diesem Fall natürlich besonders gut. 

Bedauern Sie es, dass sich gesellschaftlich relevante Stoffe bei ARD und ZDF fast nur noch als Krimi unterbringen lassen?

EZ: Einerseits ja; es ist mittlerweile sehr schwierig, gesellschaftlich und politisch relevante Themen als Fernsehfilm zu erzählen. Andererseits ist der klassische Themenfilm in seiner vielfach wiederholten und nur begrenzt variierten Machart zu Recht nicht mehr en vogue.

VAZ: Wir leben zwar nicht schlecht von unseren Krimis, aber wie viele Kolleg*innen sehnen wir uns danach, Geschichten jenseits von Mord & Totschlag oder Herzschmerz zu erzählen. Aber das lineare Fernsehen ist nach wie vor von einer erschreckenden Genrearmut geprägt. Andererseits haben wir große kreative Power hierzulande, massenhaft Topleute für Drehbuch, Regie und Produktion, aber dieses Potential wird fürs lineare TV leider nicht angemessen ausgeschöpft.

Was ist mit den Streamingdiensten?

EZ: Sie haben auf jeden Fall neuen Schwung in die hiesige Fernsehlandschaft gebracht; ARD und ZDF haben sich in den letzten Jahren ja zum Glück etwas bewegt. Aber bei Netflix, Amazon und Co. stößt man mit unbequemen oder kontroversen Themen ebenfalls an Grenzen, da geht es dann – aus rein kommerziellen Gründen und mit Blick auf die internationalen Märkte – darum, was man dem Publikum weltanschaulich oder moralisch zumuten kann.

VAZ: Vielleicht ist das ja auch der Grund, warum wir mit unserer satirischen Serie „Brüder im Nebel“, die wir mit der Produktionsfirma Zeitsprung Pictures entwickelt haben, bei den Streamern nicht landen konnten. Zu dieser Geschichte haben uns die bizarren Vorgänge im Kölner Erzbistum rund um die Kardinäle Woelki und Meisner im Umgang mit Missbrauchstätern inspiriert. Und mit der Religion ist das halt immer so eine Sache…

Haben Sie Grund zur Hoffnung, dass sich die Rahmenbedingungen in absehbarer Zeit ändern werden?

VAZ: Ja, wir sehen schon jetzt positive Ansätze, vor allem in den Produktionen für die Mediatheken, da wird der Genrefächer mit einer Menge vielversprechender Formate breiter aufgemacht. Wir haben für Westside Film und den WDR in Zusammenarbeit mit der Kripo Köln eine Serie unter dem Arbeitstitel „EG Hoffnung“ entwickelt, es geht darin um sexualisierte Gewalt gegen Kinder. Im Mittelpunkt stehen Ermittler*innen, die sich tagtäglich durch beschlagnahmtes Datenmaterial von Missbrauchstätern kämpfen, um Kinder zu befreien. Eine echte Heldengeschichte also, aber alles andere als ein Mainstream-Krimi. Wir arbeiten seit über zwei Jahren an diesem Herzensprojekt, und glauben, dass es sehr gut in die ARD-Mediathek passen wird. Zumal uns der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung bereits signalisiert hat, dass er die Serie gerne mit einer groß angelegten Kampagne begleiten würde. 

Originaltext abrufbar unter: https://www.aachener-zeitung.de/kultur/koelner-tatort-vom-rand-des-tagebaus-garzweiler_aid-86695269

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Am 26 März strahlt das Erste um 20, 15 Uhr den neuesten TATORT von Eva Zahn und Volker A. Zahn aus: „Abbruchkante“ ist – nach „Hubertys Rache“ – der zweite TATORT, den das Ehepaar für die Kölner Ermittler geschrieben haben. Der Film entstand auf der Grundlage vieler Besuche und Gespräche im rheinischen Braunkohlerevier und handelt von den tiefen Verwundungen und Verletzungen, die eine rücksichtslose Politik gegen Mensch und Natur hinterlässt.

Torsten C. Fischer inszenierte „Abbruchkante“ an Originalschauplätzen, die Bildgestaltung oblag Theo Bierkens, für die Produktion zeichnete Jan Kruse (Bavaria Film) verantwortlich, Götz Bolten (WDR) betreute das Projekt redaktionell.

Neben Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Juliane Köhler, Tinka Fürst, Joe Bausch und Roland Riebeling standen diesmal u. a. Barbara Nüsse, Lou Strenger, Peter Franke, Leonard Kunz, Jörn Hentschel, Daniela Wutte, Uta Maria Schütze, Leopold von Verschuer und Ferhat Kaleli vor der Kamera

Und darum geht’s: Die (fiktive) Ortschaft Bützenich, am Rande von Köln gelegen, sollte eigentlich dem Tagebau weichen. Als bekannt wird, dass das alte Dorf doch nicht abgebaggert wird, wünschen sich viele Bürger*innen die alte Dorfgemeinschaft zurück. Aber die Zeit lässt sich nicht einfach zurückdrehen, und so entstehen Wut, Enttäuschung und Trauer. In diese zerrissene Gemeinschaft geraten die Hauptkommissare Max Ballauf und Freddy Schenk, als sie nach Bützenich gerufen werden: Dr. Christian Franzen, der Arzt des Ortes, ist in einem verlassenen Haus erschossen aufgefunden worden. Nach und nach stellt sich heraus, dass eigentlich jeder in der alten Dorfgemeinschaft ein Motiv hatte, den Allgemeinmediziner zu ermorden…

Über ihre Arbeit zum Drehbuch für den TATORT haben sich Eva Zahn und Volker A. Zahn in einem Interview mit dem WDR geäußert:

Welchen Einfluss hat das Leben an der „Abbruchkante“ für die Menschen in Alt- und Neu-Bützenich?

Volker A. Zahn: Unser ‚Tatort‘ erzählt von Menschen, die seit vielen Jahren im Ausnahmezustand leben. So gnadenlos wie sich die Schaufelbagger durch die Landschaft fressen, so nachhaltig haben Zukunftsängste und der drohende Heimatverlust auch Verwüstungen in den Seelen vieler Bewohner:innen von Bützenich hinterlassen. Eine über Generationen gewachsene Dorfstruktur wurde geschleift, Nachbarschaften wurden auseinandergerissen, Familien haben sich entzweit, und Orte, die eng mit persönlichen Erinnerungen verknüpft sind, drohen für immer im großen Baggerloch zu verschwinden. Hinzu kommen zwischenmenschliche Verwerfungen im Zuge der Umsiedlung: Die Spaltung der Dorfgemeinschaft in Widerständler und Mitmacher, der Kampf um die besten Bauplätze im neuen Dorf, die Verzweiflung derer, die alles aufgegeben haben und jetzt hilflos realisieren, dass die Bagger das Dorf doch verschonen.

Eva Zahn: In unseren Figuren haben wir versucht, diese psychische und soziale Ausnahmesituation zu spiegeln: Die Tragik des alten Ehepaars, das im neuen unwirtlichen Dorf seinen Lebenswillen verliert, die Erschöpfung derjenigen, die seit Jahren erbitterten Widerstand leisten und sich jetzt resigniert fragen, ob der Preis, den sie bezahlt haben, nicht viel zu hoch war, der findige Arzt und Einflüsterer, der aus dem Heimatverlust ein Geschäft macht, der verlorene junge Mann, der zu exekutieren hilft, was seine Großeltern, die er über alles liebt, in den Abgrund reißt. Kurzum: Wir erleben exemplarisch im fiktiven Bützenich, ob alt oder neu, eine zerrissene Gesellschaft, eine Gemeinschaft, die keine Orientierung mehr hat und – ihrer Wurzeln und Erinnerungsstätten beraubt – so verwirrt in eine ungewisse Zukunft torkelt, als habe sie eine kollektive Alzheimer-Erkrankung befallen.

Alt- und Neu-Bützenich ist ein Schauplatz, an dem jeder jeden kennt. War dieses Setting für diesen Film für Sie von Anfang an gesetzt?

Eva Zahn: Ja, wir sind in den letzten Jahren des Öfteren ins rheinische Braunkohlerevier gefahren, haben vor Ort viele Gespräche geführt und waren jedes Mal von dieser seltsamen Atmosphäre dort fasziniert. Wunderbare Vierkanthöfe, tolle historische Wohnhäuser, prächtige Kirchen, wunderschöne Gärten: dem Untergang geweiht. Ganze Wohnstraßen mit Eigenheim-Träumen aus dem letzten Jahrhundert: verrammelt, vergammelt, teilweise demoliert. Dazu die Camps der Aktivist:innen im Wald, der Sicherheitsdienst, der mit seinen Pick-ups durch die Dörfer brettert. Und auf der anderen Seite diese wunderlichen neuen Dörfer: Ohne durchdachtes Konzept in die Landschaft gewürfelt, sehr Steingarten-affin, eine bizarre architektonische Kraut- und Rüben-Veranstaltung.

Volker A. Zahn: Und das alles im Schatten einer geradezu irrsinnigen Landschafts- und Naturzerstörung. Diese seltsame Mischung aus Alt und Neu, aus Resignation und Rebellion, dieses beinahe postapokalyptische Ambiente, diese mysteriöse Stimmung wie aus einem David Lynch-Film hat uns als Schauplatz für ein Drama schon lange gereizt. Wir wollten von dieser Abbau-Thematik erzählen, ohne einen Themen-‚Tatort‘ zu machen, in dem sich die Protagonist:innen energie- und umweltpolitische Argumente um die Ohren hauen, die man in der Zeitung oder bei Wikipedia nachlesen kann. Uns ging es um die tieferen Verletzungen, die dieser Raubbau an Mensch und Natur anrichtet.

Auch bei „Hubertys Rache – Ihrem ersten Drehbuch für den „Tatort“ aus Köln – spielte der Drehort mit dem Ausflugsschiff auf dem Rhein eine zentrale Rolle. Worin liegt der Reiz, Ballauf und Schenk nicht im gewohnten Großstadt-Setting ermitteln zu lassen?

Volker A. Zahn: Nichts gegen das Großstadt-Setting! Die letzten beiden Kölner ‚Tatorte‘, ‚Spur des Blutes‘ und ‚Schutzmaßnahmen‘, haben die Stadt wunderbar in Szene gesetzt. Aber es macht eben auch Spaß, die Helden aus ihrem angestammten Revier herauszuholen. In Köln sind sie mit den Menschen und Sitten vertraut, die Ermittlung dort ist ein Heimspiel. Im Braunkohlerevier müssen sie erst mal kapieren, wie die Leute ticken und nach welchen Regeln hier gespielt wird. Erzählerisch hat so eine milde ‚Fish out of water‘-Situation immer einen großen Reiz.

Eva Zahn: Wichtig war uns auch, unsere Helden – vor allem Ballauf – in dieser beinahe entrückten Atmosphäre an der Abbruchkante auf möglichst unaufdringliche Weise mit Selbstzweifeln zu konfrontieren. Lost in Bützenich! In unserer Geschichte geht es ja immer auch um die Frage, was die Menschen glücklicher macht: Das Festhalten am Bewährten oder das Abenteuer eines Neustarts. Freddy Schenk ist durch seine Familie geerdet und sieht wenig Änderungsbedarf. Aber in Max Ballauf, dem Lonesome Wolf, löst die Verlorenheit und Orientierungslosigkeit der Menschen in Bützenich etwas aus, er fühlt sich ihnen auf seltsame Weise verbunden. Sein Mut, Neues zu wagen, hält sich allerdings in Grenzen. Oder wie Max Ballauf es sinngemäß ausdrückt: Ich hab Schiss, dass mein bisheriges Leben abgebaggert wird und ich nach Neu-Ballauf ziehen muss!

Mehr Infos zum Film gibt es unter: https://presse.wdr.de/plounge/wdr/programm/2023/03/20230326_uebersicht_tatort_koeln.html

 

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Große Ehrung beim „Festival des deutschen Films“: Ludwigshafener Drehbuchpreis für Eva Zahn und Volker A. Zahn

Beim „Festival des deutschen Film“ wurden Eva Zahn und Volker A. Zahn für ihr bisheriges schriftstellerisches Schaffen mit dem „Ludwigshafener Drehbuchpreis“ ausgezeichnet. Vor 1200 Zuschauern resümierte Festivalleiter Michael Kötz in seiner Laudatio: „Diese Kunstwerke zu schaffen, gelingt ihnen immer wieder mit großer Meisterschaft.“

Im Anschluss an die Preisverleihung wurde auf großer Leinwand die aktuelle Arbeit des Autoren-Duos gezeigt, der Kiel-TATORT „Borowski und die große Wut“ (Produktion: Nordfilm, Redaktion: Sabine Holtgreve) , ein Film, dem laut Kötz ein weiteres „exzellentes Drehbuch“ der Zahns zugrunde liegt. Der Krimi (Regie: Friederike Jehn, Kamera Stan Mende) wird im kommenden Frühjahr im Ersten zu sehen sein und war auf dem „Festival des deutschen Films“ für den Filmkunstpreis in den Kategorien Drehbuch, Regie und Bester Film sowie für den Rheingold-Publikumspreis nominiert.

Im „Mannheimer Morgen“ schreibt Markus Mertens über den Abend der Preisverleihung: „Nicht ohne Stolz betont (Festivalleiter) Kötz, das Festival ehre die Zahns quasi zum perfekten Zeitpunkt. Denn in diesem Jahr blickt das Arbeits- und Ehe- paar nicht nur auf insgesamt 130 verfilmte Bücher zurück – es sind auch genau drei Jahrzehnte, die beide im gemeinsamen Wirken verbinden. (…) Zahllose Leinwandminuten wären ohne sie mitunter frei von der inhaltlichen Tiefe geblieben, für die sie nun in Ludwigshafen geehrt wurden. Keineswegs zufällig kommt dem Festivalchef daher die Anekdote über die Lippen, er habe an einem ohnehin anstrengenden Tag in der Sichtungsphase des Festivals eigentlich nur begrenzt viel Lust verspürt, von der Schwere eines 'Borowski- Tatorts' kosten zu müssen – bis die 90 Minuten von 'Borowski und die große Wut' dann begonnen hätten. Ganz leise und aufmerksam sei er plötzlich geworden, habe gelauscht und sich hineinfallen lassen in die beklemmend offene Geschichte eines Mädchens, das aus der prägen- den Erfahrung des sexuellen Missbrauchs ihre eigenen – tragischen – Konsequenzen zieht. Auch die Zuschauer im Zelt dürfen Konversationen erleben, die dem großen Krimi-Drama subtile, humorvolle Sticheleichen, aber auch den souveränen Weitblick des Ermittlers Borowski offenbaren – und dabei im besten Sinne des Wortes über die Geschichte alleine hinausreichen. Was auch wieder zurück zu Kötz’ Laudatio führt, in der er – selbst fast lyrisch – klarstellt: 'Die Poesie liegt in den Visionen, die man nicht lesen kann.' So gesehen ist die Auszeichnung für die Zahns an diesem Abend fast schon eine visionäre Wertschätzung für ihr Lebenswerk. Auch, wenn sich Fernsehdeutschland wünschen darf, dass es zukünftig noch zahlreiche Bücher des Paares geben wird.“

Zum Abschluss des Festivals wurde Friederike Jehn für die Inszenierung des Kiel-TATORTS überdies mit dem Filmkunstpreis in der Kategorie Beste Regie ausgezeichnet!

Auf den Fotos: Preisträger Eva Zahn und Volker A. Zahn mit Festivalleiter Michael Kötz. Unten: Das Team des Kiel-TATORTS „Borowski und die große Wut“ mit der ausgezeichneten Regisseurin Friederike Jehn, Kameramann Stan Mende, Editorin Isabel Meier, Casterin Marion Haack und Nordfilm-Dramaturg Alfred Holighaus.

Ludwigshafener Drehbuchpreis
Bild © Christoph Meinschäfer Fotografie
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