Eva Zahn & Volker A. Zahn
Drehbuchautoren



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Am 7. Mai um 20, 15 Uhr erzählt das neueste Kriminaldrama von Eva Zahn und Volker A. Zahn von Traumata nach erlittener Gewalt und Misshandlungen. Zwei Morde, ein entführtes Mädchen, eine Systemsprengerin auf der Flucht, und im Mittelpunkt der Kieler Hauptkommissar Klaus Borowski, der nach einer Brutalo-Attacke in Lebensgefahr schwebt und im Krankenhausbett seine ganze eigene Ermittlungsstrategie entwickelt. Nicht unbedingt zur Freude seiner Kollegin Mila Sahin…

Für ihre Inszenierung von „Borowski und die große Wut“ wurde Friederike Jehn beim „Festival des deutschen Films“ mit dem Filmkunstpreis in der Kategorie Regie ausgezeichnet, Eva Zahn und Volker A. Zahn ehrte das Festival vor der Premiere dieses Kiel-Tatorts mit dem „Ludwigshafener Drehbuchpreis“. Anlässlich der Ausstrahlung von „Borowski und die große Wut“ haben Eva Zahn und Volker A. Zahn mit dem NDR über ihre Arbeit am Drehbuch für den Film gesprochen:

NDR: Sie haben beim Ludwigshafener Filmfestival den Drehbuchpreis für Ihr Gesamtwerk erhalten. Darunter sind viele Krimis, die vor allem durch ihre inhaltliche Stärke überzeugen. Was war für Sie das zentrale Thema bei „Borowski und die große Wut“?

Eva Zahn: Uns beschäftigt oft die Frage: Wann wird ein Opfer zum Täter? Und wir lassen uns dabei auch von realen Fällen inspirieren. Anregung für diesen Tatort war der Fall eines Jugendlichen, der in seiner Familie misshandelt und erniedrigt worden war und eines Tages komplett eskalierte. Dieser Moment der Eskalation interessiert uns, die fundamentale Frage, wie viel Eigenverantwortung jemand hat, der selber Opfer war und dann zum Täter wird.

Volker A. Zahn: In vielen unserer Filme aus den letzten Jahren geht es um die Wucht traumatischer Erfahrungen. Wie gehen Menschen mit ihren Traumata um, und wie reagiert die Umwelt auf sie. Sehr oft fehlt es an Verständnis und Toleranz für Menschen mit Trauma-Erfahrungen, sie sind „schwierig“, überfordern ihre Nächsten, provozieren oft Widerspruch und Ablehnung, und dieses permanente Gefühl, nicht liebens„wert“ zu sein, kann irgendwann in Gewalt umschlagen. Gegen sich selbst oder, wie im Fall unserer Hauptfigur Celina, auch gegen andere. 

Celina hat in ihrer Familie Gewalt und emotionale Kälte erlebt. An einer Stelle des Films wird vom „Abgrund Familie“ gesprochen. Warum interessiert Sie das?

Eva Zahn: Weil Ausbrüche von Gewalt in einem System, das vom Anspruch her auf Liebe und Zuneigung fußt, natürlich besonders spannend sind. In unserer Gesellschaft wird die Familie gerne als Hort von Geborgenheit und Sicherheit gesehen. Aber die Realität ist leider oft eine andere. Die schlimmste Gefahr für Kinder und auch für Frauen lauert in der Familie. Gewalt und traumatisierende Erlebnisse finden häufig innerhalb der eigenen vier Wände statt.

Bei diesem Tatort haben Sie allerdings eine ungewöhnliche Form gewählt, weil wir die vermeintliche Täterin Celina gar nicht sehen. Borowski ist ausgeknockt und kann nur über das Telefon ermitteln. Welche Chancen eröffnen sich durch diese Reduktion der Handlung?

Volker A. Zahn: Es gibt nichts Langweiligeres als Krimis, die nach dem immer gleichen Muster gestrickt sind. Wir versuchen grundsätzlich, Geschichten für den „Tatort“ anders zu erzählen. NDR-Redakteurin Sabine Holtgreve fragte bei uns an, ob es möglich sei, eine Geschichte zu erfinden, in der Borowski einen Fall ausschließlich am Telefon löst. Das war ein sehr reizvoller Grundgedanke, aber auch eine extrem ambitionierte Herausforderung. Immerhin mussten wir dafür den ansonsten gern agil über den Bildschirm turnenden Herrn Hauptkommissar irgendwie stilllegen.

Eva Zahn: Wir haben aber immer mehr Freude an diesem Ansatz gefunden, Borowski „beschädigt“ zu zeigen. Unser Held ist selbst traumatisiert, er wurde brutal niedergeschlagen, und das macht ihn extrem sensibel, es macht ihn anfällig und schwach. Und aus dieser Schwäche heraus muss er eine neue Stärke entwickeln, um ermitteln zu können. Durch die Beschränkung auf die Telefonate ist er gezwungen, sehr psychologisch vorzugehen, seine Menschenkenntnis auszuspielen und auch Dinge von sich selbst preiszugeben.  

Gleichzeitig scheint er auch die professionelle Distanz zu verlieren und botet seine Kollegin Mila Sahin aus.

Eva Zahn: Das ist ja das Schöne, dass sich das Machtgefüge dreht. Vorher war Borowski der Boss, jetzt ist er „nur“ ein Patient. Mila wird in dieser Situation zur leitenden Ermittlerin, und das kann einer wie Borowski überhaupt nicht leiden. Er muss andere Mittel finden, um zu bestehen und trotzdem noch die Hosen anzuhaben. Das schafft er, indem er das Handy und den Kontakt zur Hauptverdächtigen als exklusives Machtinstrument nutzt. Mila hat den Nachteil, dass sie nicht persönlich mit dem Mädchen sprechen kann, ein Umstand, der sich aber auch als Vorteil erweisen kann. Und Borowski ist durch seine eigene Beschädigung sensibler, offener, ehrlicher, und er schafft es so, das Vertrauen des Mädchens zu gewinnen, er sendet auf ihrem Kanal. Er spielt diesen Vorteil gnadenlos aus, geht dabei aber auch einen Schritt zu weit.

Volker A. Zahn: Wir haben immer große Freude an wirklich gutem Schauspiel und wussten, dass Axel Milberg für so eine Herausforderung die beste Adresse ist. Unsere Kolleg*innen aus der darstellenden Abteilung wünschen sich sehnlichst Rollen, die über die berühmt-berüchtigte „Wo waren Sie gestern Abend“-Ödnis hinausgehen, und deshalb war uns klar, dass ein Axel Milberg das Potenzial dieser Rolle sofort erkennen und nutzen würde. Es macht großen Spaß zu sehen, wie er diesen Borowski spielt, der sich in einem emotionalen und körperlichen Ausnahmezustand befindet und gleichzeitig auch sehr humorvoll die Rolle des Antihelden ausfüllt.

Obwohl Borowski sich bruchstückartig wieder an die Umstände des Angriffs auf ihn erinnert, scheint er einiges durcheinanderzubringen. Können wir unseren Erinnerungen nicht trauen?

Eva Zahn: Es geht in unserer Erzählung tatsächlich auch übergeordnet um die Frage: Wem kann ich trauen? Und vor allem: Kann ich mir selbst trauen? Was weiß ich eigentlich über mich? Und es geht auch um andere existenzielle Fragen: In der Beziehung zu seiner geheimnisvollen Krankenhaus-Bekanntschaft Maren wird Borowski mit der Frage nach der eigenen Endlichkeit konfrontiert, eine Frage, die wir alle – inklusive Borowski, obwohl er jeden Tag mit dem Tod konfrontiert ist – gerne verdrängen.

Volker A. Zahn: Der Erzählstrang mit Maren ist für die Lösung des Falls völlig unwichtig, aber wir zeigen damit, wie Menschen, die mit dem Tod konfrontiert sind, auch in der sterilsten Krankenhaus-Atmosphäre noch Wege finden, ihre Würde zu wahren und das Leben zu feiern. Das war uns sehr wichtig, wir wollten dem Film damit eine poetische Note geben, und unsere großartige Regisseurin Frederike Jehn hat diese Intention auch wunderschön und mit viel Gespür für die Figuren umgesetzt.  

Mich hat der Tatort auch an den Spielfilm „Systemsprenger“ erinnert. Wie das Mädchen in dem Film hat auch Celina einen langen Leidensweg hinter sich, wurde zwischen Eltern, Pflegefamilie und Großmutter hin und her geschoben. Aber entschuldigt ihre eigene Geschichte, dass sie eine völlig unschuldige Frau vor einen LKW stößt?

Eva Zahn: Entschuldigen kann man so eine Tat nicht, aber man kann sie erklären. Und vielleicht auch verstehen. Celina hat etwas Furchtbares getan, und sie muss damit klarkommen. Die Gesellschaft ist immer sehr mitfühlend, solange die misshandelten Kinder klein sind. Aber wenn diese vernachlässigten oder misshandelten Kinder erwachsen sind, will man von ihren Verletzungen nichts mehr wissen und verlangt von ihnen ein „normales“ Verhalten. Wir zeigen, was mit so einem Systemsprenger später passieren kann. Als Geschichtenerzähler sind wir nicht dazu da, ein Urteil zu fällen.

Haben Sie denn für sich selber eine Antwort gefunden auf die Frage, wie das verhindert werden kann?

Volker A. Zahn: Wir brauchen mehr Kinderrechte, neue familien- und sozialpolitische Impulse, die Etablierung einer gewaltfreien Kultur des Miteinanders auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Aber gefragt ist auch jeder Einzelne. Wir schreiben gerade eine Serie über sexuellen Missbrauch an Kindern, und auch bei dieser Recherche zeigt sich: Nicht nur Behörden versagen oft, wenn es darum geht, Kinder zu schützen, auch in der Gesellschaft gucken viele lieber weg, um persönlichen Ärger zu vermeiden. Aber wir müssen lernen, genauer hinzugucken, in Schulen, Vereinen, Arztpraxen, in der eigenen Verwandtschaft… wir brauchen mehr Aufmerksamkeit und auch den Mut, den Mund aufzumachen, wenn es Alarmsignale gibt. Denn Kinder haben keine Lobby.

Mehr Infos zum Film gibt es unter: 

https://www.daserste.de/unterhaltung/krimi/tatort/sendung/borowski-und-die-grosse-wut-drehbuch-100.html


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