Eva Zahn & Volker A. Zahn
Drehbuchautoren



Aktuelles


Anlässlich der Ausstrahlung von „Borowski und die Kinder von Gaarden“ (am 29. März 2015 um 20, 15 Uhr im Ersten) führte der NDR ein kurzes Interview mit Eva Zahn und Volker A. Zahn über die Entstehung der Geschichte und ihre gemeinsame Arbeit als Drehbuchautoren.

NDR: Wie haben Sie die Idee für den Stoff gefunden?

Volker A. Zahn: Wir wollten für den Borowski-TATORT unbedingt eine Geschichte erzählen, die etwas mit Kiel zu tun hat. Und wer sich mit dieser Stadt und ihren Problemen beschäftigt, stößt zwangsläufig auf die empörend hohen Zahlen zur Kinderarmut. In Kiel-Gaarden, wo unsere Geschichte spielt, leben rund siebzig Prozent der Kinder unter 15 Jahren in Familien, die auf Sozialleistungen angewiesen sind.

Eva Zahn: Wir wollten aber von Anfang an kein klassisches Sozialdrama erzählen, sondern auf spannende Weise illustrieren, wie sich Kinderarmut in einem scheinbar wohlhabenden Land wie Deutschland manifestiert. Es geht ja in erster Linie nicht um einen Mangel an Essen oder Spielsachen, sondern um eklatante Vernachlässigung und Unterversorgung: emotional, sozial oder gesundheitlich.

NDR: Wie haben Sie Kinderarmut recherchiert und in eine Geschichte geformt?

Volker A. Zahn: Obwohl wir uns in einem Ermittler-Krimi bewegen, wollten wir möglichst nah an den Kindern erzählen. Wie verbringen sie ihre Zeit, was fasziniert sie, wovon träumen sie, wie managen sie den Zustand der permanenten Vernachlässigung… 

Eva Zahn: Was den Krimiplot angeht, haben wir uns von einem realen Fall inspirieren lassen. In einem Berliner Problembezirk gab vor ein paar Jahren einen ähnlichen „Jugendtreff“ in der Wohnung eines vorbestraften Pädophilen. Kinder und Jugendliche haben sich da täglich getroffen, Pornos geguckt, Alkohol getrunken, abgehangen, rumgealbert… Keiner der Jungs hatte Angst vor dem Kinderschänder, aber irgendwann hat er sich ausgerechnet an dem stillsten und sensibelsten Teenager vergangen. Aus Rache und Verzweiflung hat der Junge ihn daraufhin umgebracht. Eine tragische Geschichte, die uns nachhaltig berührt und beschäftigt hat.

Volker A. Zahn: Ganz wichtig in unserem Konstrukt war natürlich „Lassie“, der Hund, auf den sich die ganze Liebe und Sehnsucht eines der Kinder konzentriert.

NDR: Leon versucht, den Hund zu beschützen und für ihn da zu sein – etwas, was niemand für ihn macht. Das erinnert sehr daran, dass Menschen eher dazu neigen sich für Hunde einzusetzen als für Kinder.

Volker A. Zahn: Ja. Der Hund hat in der Nachbarin des Kinderschänders eine energische Fürsprecherin, sie macht sich vor allem Sorgen um das Wohl und die artgerechte Haltung des Vierbeiners. Ob die Kinder Gefahr laufen, missbraucht oder vergewaltigt zu werden, ist für sie eher zweitranging. Selbst Schuld!

Eva Zahn: Wenn man sich vor Augen führt, wie hierzulande Haustiere gepampert und vermenschlicht werden oder dass man für Hundefutter nur sieben Prozent Mehrwertsteuer zahlt und für Babynahrung 19 Prozent… dann deutet das zumindest auf ein gesellschaftliches Klima hin, in dem Tieren mitunter mehr Aufmerksamkeit und Fürsorge geschenkt wird als Kindern – vor allem, wenn sie aus prekären Verhältnissen kommen.

NDR: Ebenfalls ziemlich bitter ist, dass der Hund der Einzige ist, der auf den Gedanken kommt, aus Kiel Gaarden abzuhauen.

Volker A. Zahn: Anders als die Kinder kann er eben einfach weglaufen. Die Sehnsucht, aus Gaarden abzuhauen, wird in unserer Geschichte durch Timo verkörpert, er muss schon früh Verantwortung für seinen verstörten kleinen Bruder übernehmen und träumt davon, sich ein ganz normales Leben jenseits der Gaardener Tristesse aufzubauen. Aber Gaarden ist wie ein Stigma. Wenn du von hier kommst, musst du dich doppelt oder dreifach anstrengen – wenn man dich lässt: Es ist kein Geheimnis, dass Bewerbungsschreiben mit dem Absender Kiel-Gaarden oft ungelesen im Papierkorb verschwinden. Trotzdem: Wir wollten am Beispiel der Figur Timo einen Funken Hoffnung in diese perspektivische Düsternis bringen.

NDR: Timo ist intelligent und verblüfft Borowski mit tiefgreifenden Gedanken.

Volker A. Zahn: Das war uns wichtig: Zu zeigen, dass auch Kinder, die unter diesen Bedingungen aufwachsen, was draufhaben können, dass da sehr viel Potenzial ist und dass bei entsprechender Förderung und Bildung alles möglich ist. 

Eva Zahn: Wir wollen aber auch ein Gefühl dafür vermitteln, wie schnell Opfer in Täter umgewidmet werden – und wie rasant sich der Blick auf schwierige Kinder von einer mitleidigen Betrachtung in Vorwürfe und Anklagen verkehrt. Wenn ein Kind vernachlässigt wird, ist die Empörung groß. Aber sobald das Kind in die Pubertät kommt und Schwierigkeiten macht oder unbeq uem wird, wird seine Vorgeschichte ausgeblendet, und es heißt: „Sperrt ihn ein!“ Die Zustände und Verhältnisse, die ihn dahin gebracht haben, spielen dann meistens keine Rolle mehr.  

NDR: Thorsten 'Rauschi' Rausch ist eine Pflanze des Milieus. Er ist mit den Menschen in seinem Kiez sehr eng. Manchmal enger, als es sein dürfte. Inwieweit findet man dies auch in der Realität?

Eva Zahn: „Rauschi“ erscheint zuerst wie eine Kunstfigur, wie ein Sheriff in einer Westernstadt. Erst nach und nach erfährt der Zuschauer, dass sich hinter der coolen und etwas schillernden Fassade ein gebrochener Mann mit einem düsteren Geheimnis verbirgt, jemand, der sich langsam häutet und uns erst am Ende einen Blick in seine zutiefst verstörte Seele gewährt.

NDR: Sie durften Sarah Brandt ein Vergangenheit geben. Wie geht man da vor?

Volker A. Zahn: Das kann man nur in enger Absprache mit der Redaktion und natürlich mit Sibel Kekilli machen, da stellen wir uns als Autoren ganz in den Dienst des Formats. Schließlich müssen die Schauspielerin und andere Autorenkollegen nach unserem TATORT weiter damit leben.

NDR: Sie sind von Hause aus Journalisten. Journalisten müssen mit dem arbeiten, was sie haben. Geschichtenerzähler sind da freier. Was sind aus Ihrer Erfahrung die Schwächen und Stärken von Journalismus und Geschichten erzählen?

Eva Zahn: Am Anfang steht die Recherche. Sobald wir aber genug über ein Thema wissen, können wir uns von der Realität lösen und die Geschichte erzählen, die wir am spannendsten finden. Ich genieße es sehr, ohne den Objektivitätszwang zu erzählen, dem Journalisten unterworfen sind – oder unterworfen sein sollten.

Volker A. Zahn: Unser journalistischer Hintergrund macht sich vor allem bei der Recherche bezahlt. Wir wissen, wo wir Informationen bekommen, und wir können mittlerweile auf einen großen Pool von Informanten und Fachleuten zurückgreifen. Wenn ich einen Polizisten als Journalist befrage, verweist er mich an die Pressestelle, wenn ich ihn als Drehbuchautor befrage, ist er oft froh, mir etwas über seinen Job und seine Erfahrungen erzählen zu können. Unsere Kontaktleute wissen: Wir sind nicht an Namen oder Interna interessiert, sondern an der Wahrheit, so wie wir auch in unseren Geschichten wahrhaftig sein wollen, ganz gleich, wie fiktional oder ausgedacht unsere Plots oder Figuren sind.

NDR: Wie arbeiten Sie als Team? Sitzen Sie sich gegenüber und improvisieren Dialoge?

Eva Zahn: Wir sitzen über Eck… (lacht)

Volker A. Zahn: …und wir improvisieren nicht. Wir einigen uns auf ein Thema und entwerfen dann gemeinsam den Zugang zur Geschichte. Darüber und vor allem über unsere Figuren diskutieren wir dann in mehrstündigen Sessions – gerne beim Wandern – ausführlich, und wenn die Idee steht, wird sie aufgeschrieben. Und danach wird erneut diskutiert, frisiert, verbessert… solange, bis wir zufrieden sind. So geht das auch bei den nachfolgenden Arbeitsschritten: Schreiben, Diskutieren, Umschreiben, Diskutieren… 

Eva Zahn: Und übrigens, wir sind keine Geschlechter-Experten. Ich kann Männer, und Volker kann Frauen!

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Im Web-Portal „kriminetz.de“ dreht sich alles um Thriller, Spannung und Krimis. Eva Zahn und Volker A. Zahn beantworteten den Machern der Seite sieben Fragen über gemeinschaftliches Leben und Schreiben:

Kriminetz: Wie fing das an mit Ihrem gemeinsamen Schreiben? Haben Sie sich über das Schreiben kennengelernt?

Volker A. Zahn: Wir haben schon in den achtziger Jahren, zu Zeiten von „Dallas“ und „Denver“, an deutschen Serienformaten gestrickt – ohne auch nur den Hauch einer Ahnung davon zu haben, wie man ein Drehbuch schreibt oder an den Mann bringt. Wir waren Journalisten für Printmedien und kamen erst Jahre später wieder zum Film, als sich Folgendes zutrug: Für das Zeitgeist-Magazin WIENER hatte ich den Hammer aus der Tasche geholt und in einem ziemlich derben, aber humorvollen Rundumschlag Dutzende deutsche TV-Formate zunichte geschrieben. Georg Althammer, einem der „betroffenen“ Produzenten, gefiel dieses Pamphlet so gut, dass er mich anrief und meinte: „Wer das Fernsehen so unterhaltsam kritisieren kann, ist sicher auch in der Lage, besseres Fernsehen machen.“ So bekamen wir von ihm unsere ersten Aufträge … und die große Chance, uns als Filmautoren zu bewähren.

Kriminetz: Wie darf man sich Ihre gemeinsame Arbeit vorstellen - sitzen Sie gemeinsam am Computer? Oder arbeitet jeder in der Stille seines Schreibtisches und die Passagen werden hin und her gesandt?

Eva Zahn: Am Anfang steht eine Idee, manchmal nur ein Thema, dann machen wir uns meistens auf den Weg, gehen wandern oder umrunden den Decksteiner Weiher hier in Köln und brainstormen: Was für eine Geschichte möchten wir erzählen, welche Figuren könnten uns reizen, in welchem Genre ist unsere Idee am besten aufgehoben…? Wenn wir uns einig sind – und nur dann! – schreibt einer von uns ein Exposé, das wir dann wieder besprechen, zerpflücken, verändern, zuspitzen, verbessern, und wenn wir endlich zufrieden sind, suchen wir nach potenziellen Abnehmern, also Produktionsfirmen oder Sendern… Und so geht es auch in den folgenden Arbeitsschritten (Bilder-Treatment, Buch, Buch-Überarbeitung) weiter. Wir arbeiten in der Regel an vier bis sechs Projekten gleichzeitig. Jeder von uns schreibt für sich, und dann tauschen wir uns aus und entwickeln unsere Handlungen und Figuren gemeinsam weiter.

Kriminetz: Für das Drehbuch von „Mobbing“ haben Sie den Roman von Annette Pehnt adaptiert. Tobias Moretti und Susanne Wolff spielen im Film das Ehepaar, dessen Beziehung durch die veränderte Situation am Arbeitsplatz des Mannes in Frage gestellt wird. War es schwierig, sich beim Schreiben in Personen hinein zu versetzen, die sich jemand anderes ausgedacht hat?"

Volker A. Zahn: „Mobbing“ war unsere erste Roman-Adaption und deshalb eine echte Herausforderung. Aber schon nach unserem ersten Treffen mit Annette Pehnt war klar, dass wir eine ähnliche Sicht auf die Charaktere und Konflikte hatten, deshalb gab es in der Figuren-Adaption keinerlei Probleme. Schwierig war etwas anderes: Annette Pehnts Roman ist große Literatur, viel innerer Monolog, die Zeitebenen kunstvoll verschoben, wenig Handlung, kurzum: Gift für jede Film-Dramaturgie. Wir haben aber erst gar nicht versucht, einen Kompromiss zu finden. Wir wollten den Geist und den Kern des Romans unbedingt erhalten, und wir haben nicht einen Moment daran gezweifelt, dass die radikal subjektive Erzählperspektive des Romans aufgeweicht werden darf.

Eva Zahn: Natürlich mussten wir die Figur der Antje aktiver gestalten, in der Literatur kann eine Hauptfigur sehr viel passiver angelegt sein als im Film. Bei uns sollte Antje ein Fels in der Brandung sein, sie sollte um die Liebe kämpfen, erschöpft und wütend, aber bis zum bitteren Ende optimistisch. Wir mussten uns von vielen schönen Dingen, die im Roman stehen, trennen, wir mussten einiges dazu erfinden, neu strukturieren, aber ganz wichtig war uns immer, dass sich Annette Pehnt am Ende in diesem Film wiederfindet. Und das ist uns zum Glück auch gelungen.

Kriminetz: Lena war die erste TATORT-Kommissarin überhaupt. Mit ihr wurde den männerdominierten Fernsehermittlern endlich eine starke Frauenfigur gegenüber gestellt. In der sechzigsten Folge wird der Preis gezeigt, den sie bezahlt hat. Lena ist allein, außer ihrem Mitbewohner und ihrer Katze teilt niemand ihr Leben. Erfahrungen sind keine Währung, für die man irgendwo etwas eintauschen könnte. „Erfahrungen, das heißt doch nur, dass wir alt sind.“ Kriegt Lena nochmals die Kurve? Oder geht sie in Frührente?

Eva Zahn: Das hängt von den kommenden Geschichten ab. „Blackout“ hat gezeigt, dass die Zuschauer – und übrigens auch die meisten TV-Kritiker – die Figur noch nicht satt haben, und Ulrike Folkerts demonstriert in dem Film eindrucksvoll, wie viel Potenzial sich auch schauspielerisch noch aus der Lena-Figur generieren lässt. Ich wünsche mir, dass die Verantwortlichen die Figur mutig weiterführen.

Kriminetz: Schlagen Sie beide den Sendern Themen vor oder werden diese an Sie herangetragen?

Volker A. Zahn: Es gibt beide Varianten. Viele schöne Stücke wie „Ihr könnt euch niemals sicher sein“ (WDR) oder die Teenie-Komödie „Plötzlich berühmt“ (ProSieben) sind auf unserem Mist gewachsen, andere Anregungen und Ideen, etwa zu Filmen wie „Schurkenstück“ (WDR) oder dem Bluter-Drama „Unter der Haut“ (NDR), kamen von Redaktions- oder Produktionsseite.

Kriminetz: Sie schreiben schon seit einer ganzen Reihe von Jahren Drehbücher. Inwieweit hat sich Ihre „Autorenwelt“ seither verändert? Sind die Bedingungen heute andere als damals, als Sie damit begonnen haben?

Eva Zahn: Für uns persönlich sind die Bedingungen besser geworden, wir stecken nicht mehr – wie zu Beginn unserer Karriere – in der Krimi-Schublade und haben mehr Freiheiten bei der Auswahl unserer Projekte. Abgesehen davon scheuen die Sender und Produktionsfirmen infolge der grassierenden Sparmaßnahmen langwierige und teure Buchentwicklungen, das kommt erfahrenen Autoren wie uns entgegen, erleichtert aber die Chancen für junge Kolleginnen und Kollegen nicht unbedingt.

Volker A. Zahn: Positiv ist auch, dass sich der Markt zurzeit öffnet und verändert, neue Wettbewerber kommen ins Spiel und, nicht zuletzt angefeuert durch TV-Qualitätsprodukte aus den USA, könnte sich auch hierzulande endlich die Möglichkeit bieten, Serien jenseits der gängigen Strickmuster und Genres (Krimi + Krankenhaus) zu entwickeln.

Kriminetz: Sie haben schon so viele Drehbücher, von denen sehr viele verfilmt wurden, geschrieben. Angenommen, das Budget würde überhaupt keine Rolle spielen – welchen Film würden Sie dann realisieren wollen?

Eva Zahn: Es gibt ein Herzens-Projekt, das wir auf jeden Fall noch realisieren wollen: MILEVA, die bewegende und tragische Lebensgeschichte der Ehefrau von Albert Einstein. Das Buch ist geschrieben, Nicole Weegmann (“Ihr könnt euch niemals sicher sein“) möchte den Stoff inszenieren, der Verband Deutscher Drehbuchautoren hat unser Skript im vorletzten Jahr für den Deutschen Drehbuchpreis vorgeschlagen, jetzt fehlt uns „nur noch“ das Geld… oder ein Sender, der sein Geld sinnvoll anlegen will.

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Foto links: Eva Zahn und Volker A. Zahn bei der Verleihung des ver.di-Fernsehpreises in Leipzig

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10, 4 Millionen Zuschauer haben dem von Eva Zahn und Volker A. Zahn geschriebenen Tatort „Blackout“ die höchste Einschaltquote eines Lena Odenthal-Krimis seit 1991 beschert. „Ein voller Erfolg zum Jubiläum“, schreibt Spiegel online, „und eine Bestätigung für den SWR, ruhig mal wieder unbequemere Odenthal-Krimis in Auftrag zu geben.“ Zumal das K.O.-Tropfen-Drama auch in der begehrten jüngeren Zielgruppe den Tagessieg einfuhr: Dort betrug der Marktwert stattliche 23,5 Prozent.
Auch die TV-Kritiker fanden – bis auf wenige Ausnahmen – Gefallen an dem Jubiläums-Tatort:
„Wie also umgehen mit einer gewissen Feierlichkeit, die daher rührt, dass Frau Odenthal just in jenem Moment auftauchte, in dem die Mauer verschwand, ohne dies gleich mit sozialpolitischem Klimbim zu überfrachten?“ fragt die Neue Zürcher Zeitung. „Mit dem üblichen Dienstaltersgeschenk ist es aber auch nicht einfach getan. Die Autoren Eva Zahn und Volker A. Zahn finden in der Jubiläums-Folge ‘Blackout‘ diesbezüglich eine gute Mischung, welche die Vergangenheit mitnimmt und gleichzeitig in die Zukunft weist. Damit machen sie allerdings nicht zuletzt auch geschickt ein Hintertürchen auf für den Fall, dass der Facelift in Ludwigshafen partout nicht mehr gelingen sollte.“
Mit Blick auf mehrere in den Fall verstrickte Frauen schreibt Christian Buß auf Spiegel online: "Reichlich Gelegenheit, dass sich Odenthal geschmeidig in die Geschlechtsgenossinnen einfühlen könnte. Aber an dieser Art von Betroffenheitsgymnastik hat das Autorenduo Eva und Volker A. Zahn zum Glück kein Interesse. Die Drehbuchautoren haben zuvor das Mittelstandsdrama 'Mobbing' geschrieben, in dem ein Angestellter unter dem Zermürbungstechniken seiner Arbeitgeberin zur leblosen Hülle verkommt. Hier wiederholt sich gleichsam der Mechanismus an Lena Odenthal. Die Arbeit setzt ihr zu, sie verliert nach und nach ihre Empathie. Das Leiden der betrogenen Ehefrau lässt Single Lena kalt, fast sadistisch rattert sie die Affären ihres Mannes vor der Trauernden runter, die sich danach in der Badewanne die Pulsadern aufzuschlitzen versucht; vor den flehentlichen Annäherungen des Opfers nimmt Odenthal geradezu Reißaus. Das Einfühlungsvermögen ist weg, jedes ihrer Worte wirkt wie ein Hieb, und was wollen die anderen überhaupt immer von ihr? Lost in Ludwigshafen. (...) Odenthal, so egoman und ausgebrannt wie noch nie. (…) Nach längerer Durststrecke endlich mal wieder ein ‘Tatort‘ aus Ludwigshafen, der einen anfasst.“
Auch TV-Kritiker und Grimme-Juror Tilmann P. Gangloff zieht ein positives Fazit: „Lena Odenthals sechzigster Fall ist einer der schwersten, und das keineswegs bloß, weil es nach der Vergewaltigung und Ermordung eines Unternehmers nur Vermutungen, aber keinerlei Hinweise auf mögliche Täter gibt. Seinen Reiz bezieht der Film jedoch aus der Hauptfigur: Seit geraumer Zeit leidet die Hauptkommissarin unter Schlaflosigkeit. Nicht nur der Beruf zehrt an ihrer Substanz, auch die Furcht vor der Einsamkeit. Von einer forschen jungen Kollegin muss sie sich gar darauf hinweisen lassen, sie sei schließlich nicht mehr die Jüngste. In der harmonischen Verknüpfung dieser beiden Ebenen liegt die große Qualität des Drehbuchs von Eva und Volker A. Zahn, denn auch bei den Ermittlungen spielt die Einsamkeit des modernen Menschen immer wieder eine Rolle. Schon der Einstieg, ein Flug übers nächtlich illuminierte Ludwigshafen (Bildgestaltung: Andreas Schäfauer), zeigt die pfälzische Stadt als anonyme Metropole, in der schließlich eine junge Frau mutterseelenallein und offensichtlich orientierungslos über die Rheinbrücke irrt. Am Ende wird sich der Kreis schließen; nun steht die Kommissarin allein auf der Brücke. Allein dieses dramaturgische Detail zeigt, wie sorgfältig Buch und Regie den Film gerade auch bildsprachlich konzipiert haben. Der Fall tut ein Übriges, denn er konfrontiert die Polizistin mit fast allen nur denkbaren menschlichen Abgründen.“

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Ulrike Folkerts wird im Oktober ihren 60. Fall lösen und dann seit 25 Jahren als „Tatort“-Kommissarin Lena Odenthal auf Mörderjagd sein. Den Film zum Jubiläum haben Eva Zahn und Volker A. Zahn geschrieben. Volker Bergmeister, langjähriger Redakteur der TV-Zeitschrift „Gong“ sowie Grimmepreis-Juror, hat das Drama bereits vorab gesehen, er schreibt auf tittelbach.tv (vollständige Kritik unter http://www.tittelbach.tv/programm/reihe/artikel-3381.html):

„Lena Odenthal muss den Mörder des Architekten Justus Wagner aufspüren. Und das ohne Kollege Mario Kopper, der in Bella Italia Urlaub macht. Es stellt sich heraus, dass das in einer Musterwohnung aufgefundene Opfer erst mit K.o.-Tropfen außer Gefecht gesetzt und anschließend erstickt wurde. Dann wurde der Tatort so arrangiert, als sei Wagner einem Sexualverbrechen zum Opfer gefallen. Gemeinsam mit ihrer neuen LKA-Kollegin Johanna Stern (Lisa Bitter) findet Lena eine Frau, die ebenfalls narkotisiert wurde. Es handelt sich um Betty (Sinja Dieks), die Wagner am Abend seines Todes in einer Bar ‘aufgegabelt‘ und mitgenommen hat. Sie kann sich an nichts mehr erinnern, findet Schutz und Hilfe bei ihrer Freundin (Luisa Wietzorek). (…) Während Johanna minutiös den Tathergang rekonstruiert, versucht Lena, das Motiv des Täters herauszufinden. Von den seltsamen Methoden ihrer neuen Kollegin ist sie genervt. Zudem gestresst und extrem dünnhäutig. Doch Sterns Erkenntnisse erweisen sich als brauchbar. Zum Glück kehrt im Laufe der Ermittlungen Kopper aus dem Urlaub zurück.

Lena Odenthal ist die dienstälteste ‘Tatort‘-Kommissarin. Ihr Job ließ sie nie kalt, oft war sie auch emotional stark involviert in die Fälle. Leider zu oft leidend oder betroffen. Und so probierte man zwar allerhand aus rund um die Figur, aber vieles wirkte zuletzt hilf- und  konzeptlos. Das Autoren-Duo und Paar Eva und Volker A. Zahn, krimiversiert (von ‘Tatort‘ bis ‘Bella Block‘) und dieses Jahr für ‘Mobbing‘ für den Grimme-Preis nominiert, hat zum 25jährigen Dienstjubiläum versucht, der Odenthal ein neues Gesicht zu geben. Sie gehen – unabhängig vom Fall – mit Lena an die Grenze(n): Kopper, der Mann an ihrer Seite, aber nicht ihr Mann oder Partner, ist (zeitweise) weg. Sie ist allein. Ein Fall, der mit Selbstmord endete, steckt ihr noch in den Knochen, sie hat gesundheitliche Probleme, viel Stress und jetzt auch noch eine neue, junge Kollegen, die mit dem I-Pad ermittelt und für eine neue Generation steht. Zuviel für die Kommissarin, doch sie gibt weiter die Pflichtbewusste, geht an Grenzen… und darüber hinaus. Sie wirkt angeschlagen, verletzt, auch etwas orientierungslos. Diese Facetten, fernab des oft gesehenen Heldentums, tun der Figur gut.

Doch die Zahns haben Ulrike Folkerts nicht nur eine etwas andere Lena auf den Leib geschrieben, sie haben auch einen wendungsreichen und clever konstruierten Plot zum Thema K.o.-Tropfen (man dachte schon das wäre ausgelutscht) erdacht. (…) Auch die Dialoge sind deutlich über dem, was Odenthal-‘Tatorte‘ zuletzt zu bieten hatten. Und vom Gegenpart der modernen, willenstarken, selbstbewussten neuen Kollegin Johanna Stern (guter Einstand für Lisa Bitter) profitiert die Heldin. (…) Diese Johanna Stern ist eine ernste Figur. Und so wird sie auch ernst genommen. Die Figuren um die beiden herum sind stimmig, auch das Ensemble überzeugt.

Wie schon desöfteren bietet der SWR zum Jubiläum wieder einmal ein ‘Tatort+‘-Online-Spiel  an. Der Sender verspricht, man könne sich aktiv an Ermittlungen zum Filmgeschehen beteiligen und dadurch den Kommissaren näher kommen. Funktioniert aber diesmal auch im Film. So nah war man in den knapp 90 Minuten Lena Odenthal schon lange nicht mehr. Zeiten ändern sich. Mit ihnen vielleicht auch die dienstälteste ‘Tatort‘-Kommissarin der Republik. Zumindest ein interessanter Versuch. Gelingt er auch in den nächsten Fällen, könnte die Odenthal ein weiteres Jubiläum ansteuern. Bleibt es nur bei einem Versuch, dann steht der Wachwechsel in Ludwigshafen wohl bald schon bevor."

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Interview des SWR anlässlich der Ausstrahlung des Lena Odenthal-Tatorts „Blackout“ am 26. Oktober 2014:

SWR: Was war die Konzeption für die Geburtstagsepisode der Lena-Odenthal-Tatorte?
Volker A. Zahn: Wenn Jubiläen anstehen, wird gerne mal Bilanz gezogen. Lena Odenthal geht seit 25 Jahren erfolgreich auf Mörderjagd, und es war an der Zeit, die Routine, die sich in ihr Leben und das Format eingeschlichen hat, ein wenig aufzumischen. In dem Spielraum, den wir zur Verfügung hatten, konnten wir die „Achse des Guten“ zwischen Lena und Kopper durch die Einwechslung einer neuen Figur ein wenig aus dem Gleichgewicht bringen, und zudem wollten wir Lena in eine Lebenskrise schlittern lassen, die in der Frage mündet: Wo stehe ich, wo will ich noch hin? Wichtig war uns dabei, dass die Befindlichkeiten der Ermittlerin nicht als losgelöste Sonderge- schichte neben dem Mordfall herumgeistern, sondern dass sich beide Stränge, Privatleben und Polizeiarbeit, zusätzlich befeuern.

SWR: Der Fall stellt zwei unterschiedliche Ermittlungsstile gegeneinander. Ist die stärkere Betonung der Analyse von Fakten, wie die operative Fallanalytikerin Johanna Stern sie verkörpert, erzählerisch eine Chance oder liegt doch mehr Kraft in der psychologischen Vorgehensweise einer Lena Odenthal?
Eva Zahn: Erzählerisch reizvoll ist immer das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Methoden, und durch Johanna Stern kommen ja noch ein paar weitere schöne Antagonismen dazu: Lena ist Bauch, Johanna ist Kopf, Lena glaubt an das Gute im Menschen, Johanna interessiert sich für die Empirie des Bösen, Johanna verkörpert den Pragmatismus einer neuen Generation, Lena den Idealismus der vorherigen. Außerdem stehen sich hier zwei sehr unterschiedliche Lebensmodelle von Frauen gegenüber: Johanna, die moderne Karrieristin, die Job und Familie unter einen Hut zu bringen versucht, und Lena, die kinderlose Single-Frau, die sich fast ausschließlich über die Arbeit definiert.

SWR: Mit Johanna Stern kommt eine weibliche Figur ins Spiel, die mit großer Selbstverständlichkeit als Frau im Polizeidienst arbeitet. Verkörpert sie die nächste Generation, die sich nicht mehr – zumindest nicht bewusst – in einer Konkurrenz und Spannung zu den Männern definiert?

Eva Zahn: Lena Odenthal hat sich eher an den Verhältnissen abgearbeitet und weniger in Konkurrenz zu Männern, abgesehen davon, dass sie mit Kopper alles andere als einen klassischen Macho an ihrer Seite hatte. Johanna verkörpert eine neue Generation von jungen selbstbewussten Frauen, die mit Begriffen wie „Emanzipation“ nicht viel anfangen können und Regelungen wie die Frauen-Quote eher für eine persönliche Beleidigung halten.

SWR: Ein Blick in die Zukunft: Wie stellen Sie sich Lena Odenthal in zehn Jahren vor?
Volker A. Zahn: In zehn Jahren wird Lena mehr Zeit für sich haben, die Mörderjagd überlässt sie dann Johanna Stern und einem jungen knackigen Kollegen, der Kopper ersetzt, nachdem er den Dienst quittiert und sich auf einem Bauernhof irgendwo in der Heide niedergelassen hat, Lena wird sich tiefenentspannt auf dem heimischen Sofa zurücklehnen, an einem guten Glas Rotwein nippen, den Fernseher einschalten und sich über all die wunderbaren neuen TV-Formate freuen, in denen Geschichten erzählt werden, die prall und aberwitzig und bunt und spannend sind, ohne dass jemand erschossen, erwürgt, erstochen oder sonstwie abgemurkst werden muss...

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