Eva Zahn & Volker A. Zahn
Drehbuchautoren



Aktuelles


In einem aktuellen Special beschäftigt sich das lesenwerte Branchenportal „casting-network“ mit dem Thema „Einschaltquote“. Zahlreiche TV-Verantwortliche und Kreative wie Regisseur Hans Weingartner, Produzent Uli Aselmann oder die BR-Redakteurin Cornelia Ackers kommen zu Wort. „Casting network“ sprach auch mit Eva Zahn und Volker A. Zahn. Unterhalb Auszüge aus dem Interview – die vollständige Fassung ist erhältlich unter www.casting-network.de

CN: Entstehen Eure Ideen frei und unabhängig oder gibt es spezifische – sender- oder quotenbedingte – Vorgaben?
Eva Zahn: Wir haben zuallererst unsere eigenen Vorgaben, wir schreiben nur über Themen und Menschen, die uns wirklich interessieren, wir halten die Ohren und Augen offen und suchen nach Konstellationen, Ausgangssituationen oder Figuren, die Drama-Potenzial haben. Das können historische Persönlichkeiten sein wie Mileva Maric, die Ehefrau von Albert Einstein, oder sogar Freunde und Bekannte, denen etwas Besonderes widerfahren ist. Und wir greifen natürlich viele Themen auf, die buchstäblich auf der Straße liegen. Das Amok-Drama „Ihr könnt euch niemals sicher sein“ ist so ein klassischer Fall, da hat uns das teilweise hysterische Klima der Angst nach den Amokläufen von Erfurt und Emsdetten inspiriert. Oder „Schurkenstück“: Da haben uns die Zustände und Skandale in den NRW-Knästen aufhorchen lassen sowie die Art und Weise, wie Medien das Bild von jungen Strafgefangenen prägen und verzerren.
Volker A. Zahn: Im Bereich „Serien und Reihen“ gelten für uns die gleichen eigenen Vorgaben, aber hier bewegen wir uns natürlich immer im Korsett eines Formats. Da gibt es dann gerne ein paar eiserne Regeln, die aber auch dazu da sind, dass man sie bricht (lacht). Muss im „Tatort“ die Leiche wirklich in den ersten Minuten auftauchen? Muss ein Krimi zwingend drei Blindmotive anbieten und chronologisch erzählt werden? Dürfen die Helden nicht allzu sehr „beschädigt“ werden? Natürlich juckt es uns immer wieder in den Fingern, Dinge auszuprobieren, Sehgewohnheiten aufzubrechen, aus dem Schema auszubrechen. 
CN: Habt Ihr schon während Eures Arbeitsprozesses die Quote im Hinterkopf?
E. Z.: Nein, niemals (lacht). Wir glauben immer an die Kraft unserer Geschichten, daran, dass man die Zuschauer mit auf die Reise nehmen kann, dass sie mit unseren Figuren leiden, mitfiebern, mitzittern und wir glauben auch, dass dem Zuschauer mehr zuzumuten ist, als manche Verantwortliche unterstellen. Serien und Reihen laufen natürlich nur, solange sie erfolgreich sind und bisweilen folgen Redakteure und Produzenten der eisernen Regel: Was einmal erfolgreich war ist auch in Zukunft erfolgreich, keine Experimente! Aber das interessiert uns letztendlich nicht bei der Bucharbeit. Wenn wir die Zuschauer nicht langweilen, werden sie auch dann dranbleiben, wenn ihre Sehgewohnheiten mal über den Haufen geworfen werden.
V. Z.: Es ist schon erstaunlich, mit welcher Sicherheit manche Redakteure bei Stoff-Entwicklungen den Satz sagen: Das will der Zuschauer nicht sehen! Das ist so ein Geheimwissen, von dem wir Autoren nicht wissen, wo es herkommt, aber weil mit diesem Argument oft Innovatives oder Besonderes verhindert wird, bekommt die Quote nach solchen Diskussionen auch für uns eine nicht unerhebliche Bedeutung: Ist die Quote gut, nachdem du dich gegen die Bedenken des Senders durchgesetzt hast, macht das zukünftige Diskussionen leichter, ist die Quote mau, hast du bei der nächsten Auseinandersetzung schlechte Karten.
Werdet Ihr nach jeder Ausstrahlung mit der Quote konfrontiert?
V. Z.: In unterschiedlicher Ausprägung. Es kommt vor allem darauf an, mit wem wir es zu tun haben und wie mutig die entsprechenden Redaktionen ihr Programm gestalten. Der WDR hat ja auch deshalb ein so hohes Fernsehspiel-Renommee, weil dort bewusst auch Stoffe entwickelt werden, von denen man vorher weiß, dass sie keine Brüller-Quoten einfahren. Nehmen Sie unser „Schurkenstück“: Junge Strafgefangene sollen mit einer Theater-Regisseurin Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ auf die Bühne bringen – das klingt nicht nach Zuschauerzahlen im Fünf- bis Sechsmillionen-Bereich. Wer als Programmmacher solche Stoffe auf den Bildschirm bringt, denkt nicht zuerst an die Quote, sondern an den Auftrag eines öffentlich-rechtlichen Senders. Das ist für uns eine sehr vorbildliche Haltung.
E. Z.: Natürlich möchtest du als Autor, dass möglichst viele Menschen deinen Film sehen, aber wie gesagt: Darauf haben wir keinen Einfluss, das ist oft höhere Gewalt. In unserer Macht liegt allerdings, ob die Geschichte fesselnd ist und deshalb interessiert mich nicht so sehr die Einschalt-, sondern die Verlaufsquote: Bleiben die Zuschauer, die den Film von Beginn an einschalten, bis zum Ende dran? Oder laufen sie dir in Scharen davon? Gibt es Einbrüche und wo finden sie statt? Anhand dieser Kurven kann man durchaus nachvollziehen, ob die Geschichte einen Durchhänger hat oder was die Zuschauer tatsächlich überfordert.
Kennt Ihr die Bezeichnungen „Nachmittag-“ oder „Abend-Gesicht“ für Schauspieler?
V. Z.: Das Denken in Schubladen ist eine sehr verbreitete Unsitte in unserer Branche, das betrifft Regisseure, Schauspieler und Autoren gleichermaßen. Wer einmal in einer bestimmten Schublade steckt, hat es schwer, da wieder raus zu kommen.
E. Z.: Auch da ist die Angst vor bösen Überraschungen zumeist die treibende Kraft: Bloß keine Risiken eingehen, wer in bestimmten Rollen oder Formaten funktioniert, bekommt nur selten die Chance, sich auf eine andere Art oder andernorts zu beweisen.
Habt ihr selbst Schubladen-Erfahrung?
E.Z.: Ja, wir waren jahrelang in der Krimi-Schublade! Wir haben für erfolgreiche Serien und Reihen geschrieben, aber wenn wir Einzelstücke jenseits des Krimifachs angeboten haben, blieben die Türen zumeist verschlossen. Das war ein harter Kampf und erst als uns der WDR-Fernsehspieldirektor Gebhard Henke die Chance gegeben hat, über das Leben von Oswald Kolle zu schreiben, war der Bann gebrochen. Dann kam der Grimme-Preis für „Ihr könnt euch niemals sicher sein“ und seither sind wir Fernsehspiel-Autoren. Raus aus der einen Schublade, rein in die nächste.
Ist das gegenwärtige System zur Ermittlung von Quoten für euch nachvollziehbar?
E. Z.: Ausgewählte Menschen sitzen verkabelt vorm Fernseher... ob das eine seriöse Methode ist, kann ich nicht beurteilen und es interessiert mich eigentlich auch nicht. Wichtig ist die Frage, wie wir mit den Daten umgehen – und wohin es führt, wenn sich eine ganze Branche von diesem Zahlenwerk in Geiselhaft nehmen lässt.
V. Z.: Es gibt ja auch Bereiche, die von den verkabelten Menschen nicht erfasst werden. Nach der Ausstrahlung unserer letzten beiden Filmen „Schurkenstück“ und „Ihr könnt euch niemals sicher sein“ hatten wir eine Flut von Anfragen: Lehrer und Sozialarbeiter wollten die Filme unbedingt vor jungem Publikum zeigen. Bis heute läuft „Ihr könnt euch niemals sicher sein“ in kleinen Kinos oder Jugendzentren, die DVD ist kurz nach der Ausstrahlung erschienen und verkauft sich wahrscheinlich auch nicht schlecht. Das sind Verwertungen, die von der Quote nicht erfasst werden. Aber abgesehen davon: Ob ein Film relevant oder nachhaltig ist, lässt sich mit einem Blick auf die Marktanteile sowieso nicht feststellen.
Gibt es im fiktionalen Bereich etwas, das Ihr vermisst?
V.Z.: Mutige Serien, die mehr bieten als die Lösung von Kriminalfällen, Serien, die etwas über uns und unsere Gesellschaft erzählen, die auch mal weh tun, sich was trauen, Grenzen überschreiten – und denen man nicht sofort den Saft abdreht, wenn die Quoten nicht stimmen. Die Serie ist die Königsdisziplin des Erzählens, es ist schade, dass sich diese Erkenntnis hier zu Lande erst langsam durchsetzt. Ein Blick über den großen Teich zeigt doch, dass Serien, die intelligent und komplex erzählen, großen Kinoproduktionen den Rang ablaufen.
E.Z.: Von wenigen Ausnahmefällen abgesehen, ist die Serie in Deutschland nach wie vor so eine Art Schmuddelkind, ein Format für die Masse. Nichts, womit sich ein Fernsehmacher schmücken möchte. Ganz oben in der Bedeutungshierarchie stehen die Fernsehfilme, dann kommen die ambitionierten Reihen und nur knapp über den Daily Soaps und Telenovelas rangieren die Serienformate. Wir kennen viele Kollegen, die großartige Serienideen haben, Projekte jenseits von Krimi-, Familien- oder Arztgeschichten, aber weil es den Sendern an Mut fehlt, auch mal jenseits der gewohnten Pfade zu marschieren, bleibt viel Kreativität und Energie auf der Strecke. Warum Geld und Energie in ein Projekt investieren, das sowieso keine Chance hat realisiert zu werden? Fernsehmacher zeigen gern nach Amerika und bejubeln – zu Recht – die Juwelen der US-Serienkultur. Gern garniert mit dem Zusatz, dass es bei uns keine Autoren gibt, die auf diesem Niveau erzählen können. Das ist natürlich Unsinn und eine ziemliche Frechheit.
V.Z.: Hinzu kommt, dass die wichtigsten gesellschaftlichen Bereiche und Problemfelder im seriellen Erzählen nicht vorkommen. Die Arbeitswelt? Da gibt’s „Stromberg“ und dann leider nichts mehr. Migration und Multikulti? Nix außer „Türkisch für Anfänger“. Wir diskutieren eifrig über Bildung, über PISA, über die Zukunft unserer Kinder – aber eine öffentlich-rechtliche Schulserie ist weit und breit nicht zu sehen. Das ist eigentlich skandalös.
E.Z.: Wir haben vor einiger Zeit zusammen mit dem UFA-Produzenten Jörg Winger eine Serie über eine Gruppe Anonymer Alkoholiker entwickelt, sechs komplett unterschiedliche Menschen, die sich regelmäßig treffen und versuchen, von der Sucht loszukommen und deren Lebenswege und Schicksale sich überschneiden. Wenn du mit so einer Idee aufmarschierst, wird zumeist gar nicht mehr über die Inhalte geredet – der Ansatz, trockene Alkoholiker zu „Helden“ einer Dramaserie zu machen, reicht aus, um sie unbesehen wegzuschießen.
V.Z.: Also entwickeln wir, wenn uns jemand fragt, lieber noch eine Krimiserie... unsere ganzen Villen und Yachten wollen ja schließlich finanziert werden (lacht). Auf die Frage, warum sich ausgerechnet ARD und ZDF so wenig trauen, bekommen wir zumeist als Antwort: Je weniger Zuschauer wir erreichen, desto größer ist die Gefahr, dass wir als öffentlich-rechtliche Sender unsere Legitimation verlieren. Da sind wir dann wieder bei der Quote: Solange sie von Programmmachern zum Fetisch erklärt wird, ist sie Gift für unsere Fernsehkultur.

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