Eva Zahn & Volker A. Zahn
Drehbuchautoren



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Anlässlich des 50jährigen „Tatort“-Jubiläums haben sich Eva Zahn und Volker A. Zahn den Fragen des „Kölner Stadt-Anzeigers“ gestellt. Zurzeit arbeitet das Autoren-Paar an zwei neuen Filmen für die Krimireihe. Tatorte: Kiel und Köln.

Kölner Stadt-Anzeiger: Eva Zahn und Volker A. Zahn, Sie arbeiten als Drehbuchautoren immer wieder auch für den „Tatort“ und schreiben aktuell einen Kölner Fall. Was ist wichtiger beim „Tatort“, der Mord oder das übergeordnete Thema?

Eva Zahn: Für uns gibt es da keine Hierarchie. Ein „Tatort“ muss spannend erzählt und unterhaltsam sein, das ist das A und O. Manchmal steht der Krimi stärker im Vordergrund, manchmal das Drama. Aber am wichtigsten ist, dass das Gesamtpaket stimmt. Und wenn wir ein übergeordnetes, politisch oder gesellschaftlich relevantes Thema miterzählen, dann auf keinen Fall plakativ. Filme, die wie fiktionalisierte Wikipedia-Artikel anmuten und brav alle Aspekte eines Themas abhaken, finde ich nicht so prickelnd. 

Wie gehen Sie das an, wenn Sie ein „Tatort“-Drehbuch schreiben?

Volker A. Zahn: Es gibt ein paar Rahmenbedingungen, auf die man als Autor achten sollte. Die Stadt sollte mehr sein als nur Kulisse. Und man sollte das Ermittler-Team gut kennen. Wie interagieren die Helden, was sind ihre Stärken und Schwächen, wo können wir mit unserer Geschichte auch im Team emotional andocken, ohne gleich eine große Privatgeschichte aufzumachen? Wie kann man die Figuren noch interessanter machen?

Und wie vermeiden Sie es, Themen aufzugreifen, die es schon zigmal gab?

EZ: Das lässt sich nicht vermeiden, deshalb müssen wir bei jedem Thema einen besonderen, eigenen Zugang suchen. Die Welt ist bunt, und die Geschichten liegen auf der Straße, wir greifen Themen auf, die uns wichtig sind oder berühren. Nicht selten verbirgt sich hinter einer kleinen Zeitungsnotiz der Stoff für ein ganz großes Drama.  

Gesellschaftliche Relevanz ist immer ein Stichwort beim „Tatort“. Wie wichtig ist sie?

VZ: Wir denken die großen gesellschaftlichen Themen häufig mit. In dem Kölner „Tatort“, den wir gerade schreiben, geht es vordergründig um eine Geiselnahme und um die verbotene Beziehung eines Lehrers zu einer Schülerin. Also eigentlich nichts Neues, wenn man bedenkt, dass es bereits 1977 den legendären „Reifezeugnis“-Tatort mit Nastassja Kinski gab. Wir rücken in unserer Geschichte aber das Motiv der „Kränkung“ in den Mittelpunkt, erzählen von einem Narzissten, der sich missverstanden fühlt und glaubt, im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein und deshalb über andere Menschen richten zu dürfen. Wir greifen mit unserem Film eine Entwicklung auf, die sich nicht nur politisch in einer gewissen Enthemmung niederschlägt, sondern auch im alltäglichen Miteinander. Im Krimi können wir so über ein individuelles Schicksal eine aktuelle gesellschaftliche Stimmung miterzählen.  

Ein „Tatort“ dauert 90 Minuten. Wie macht man das, den Täter nicht zu früh zu verraten, die Geschichte aber auch nicht so kompliziert zu machen, dass sie unverständlich wird?

EZ: Das ist Handwerk, praktisch der Rohbau, den man mit Gespür und Erfahrung errichtet. Da gibt es doppelte Böden und geheime Türen, die man einbaut, kleine Irrgärten, die man anlegt. Aber dann muss man das Konstrukt mit lebendigen und spannenden Charakteren ausfüllen. Mit Figuren, die interessant sind und den Zuschauer berühren. Da muss man immer wieder versuchen, sich etwas Neues einfallen zu lassen, mutig Grenzen auszuloten, um nicht mit altbekannten Klischees zu langweilen. Schließlich wollen wir uns auch selbst nicht langweilen, was nach den circa hundert Krimis, die wir bis jetzt geschrieben haben, gar nicht so einfach ist. 

VZ: Uns reizen beim Krimi dramaturgische Konzepte jenseits des klassischen Whodunit, der ja eher wie „Malen nach Zahlen“ funktioniert. Anfang der achtziger Jahre haben wir bei „Ein Fall für Zwei“ auf diese Art mit dem Geschichtenerzählen angefangen. „Wie schreibt man einen Fernsehkrimi“ hieß damals ein entsprechendes Handbuch unserer Produzenten. Zum Glück sind die erzählerischen Freiräume im deutschen Fernsehkrimi immer größer geworden. In unserem letzten Kiel-„Tatort“ war von Anfang an klar, wer die Mörderin ist, in unserem neuen Köln-„Tatort“ bedienen wir eher das Thriller-Genre. Dass Geschichten auf sehr unterschiedliche Weise als „Tatort“ erzählt werden können, macht für uns als Autoren den Reiz dieser Reihe aus. Und für den Zuschauer wahrscheinlich auch.

Natürlich müssen Sie sich in viele verschiedene Menschen in Ihrer Arbeit einfühlen. Aber ein Mörder ist ja noch mal etwas ganz Besonderes. Wie machen Sie das? 

VZ: Zu unserem Handwerkszeug gehört die Recherche. Der Austausch mit Menschen, die professionell in menschliche Abgründe schauen: Polizisten, Psychologen, Sozialarbeiter… Beim aktuellen Kieler „Tatort“ versuchen wir, uns mit Hilfe einer Polizeipsychologin in die Seelenlage unserer nicht unkomplizierten Täterin einzufühlen. Trotzdem darf unsere erzählerische Freiheit dabei nicht zu kurz kommen, viele Mörder sind längst nicht so spannend, wie wir sie schreiben.

EZ: Im Traum habe ich auch schon mal jemanden ermordet. Und ich hatte ganz furchtbare Angst, dass ich erwischt werde und ins Gefängnis muss. Das zeigt eigentlich, dass die Identifizierung schon ganz gut funktioniert. (lacht) Ich glaube ja, dass es nur eine dünne zivilisatorische Schicht ist, die die Menschen davon abhält, zu morden. In Kriegs- und Krisenzeiten zeigt sich, wie schnell solche Schutzmechanismen und Skrupel außer Kraft gesetzt sind und der „Normalbürger“ zur Bestie mutiert.  

Ein Thema beim „Tatort“ ist auch immer die Frage, wie realistisch Polizeiarbeit geschildert wird und werden muss. Welche Haltung haben Sie da?

EZ: Wir recherchieren immer alles gegen, aber in der Realität ist die Polizeiarbeit oft langatmig, kleinteilig und sehr personalintensiv. Diese Realität wollen und können wir gar nicht abbilden. Wir versuchen, hanebüchene Logikfehler zu vermeiden und den bestmöglichen Film zu machen.

VZ: Außerdem stoßen wir manchmal auch an die Grenzen des produktionell Machbaren. In unserem letzten „Tatort“ sollte ein Polizeischüler beim Schießtraining eine Waffe entwenden. Das ist in der Realität fast unmöglich. Also haben wir eine Szene konzipiert, in der unser Täter großen Aufwand treiben muss, um an die Knarre zu kommen. Das Ende vom Lied: Das Buch war insgesamt zu lang, und die Szene mit dem Waffenklau fiel der Kürzung zum Opfer. So was hauen dir dann gerne mal die Kritiker um die Ohren.

EZ: Aber letztendlich ist es auch uninteressant und dramaturgisch irrelevant, wie der Typ an die Waffe kommt. Er braucht sie und Feierabend! Bei jedem „Tatort“ haben wir diese Diskussion: Ist das jetzt realistisch oder nicht? Das ist immer eine Gratwanderung, und auch die Zuschauer ticken da unterschiedlich: Viele interessieren sich nur für die Spannung, die Emotionen, die Geschichte, andere Zuschauer – vor allem Männer übrigens – suchen geradezu nach „Fehlern“ und freuen sich, wenn sie Unstimmigkeiten entdecken. Uns Autoren ist vor allem die innere Logik wichtig, eine nachvollziehbare Dramaturgie und eine stimmige, glaubwürdige Psychologie unserer Figuren.  

Die Regionalität spielt beim „Tatort“ eine große Rolle. Wie erzählt man eine Stadt mit?

VZ: Es gibt natürlich den Schauwert einer Stadt, dafür sind vor allem Regie und Kamera zuständig. Erstrebenswert ist es aber, Geschichten zu erzählen, die mit den Besonderheiten einer Stadt oder Region zu tun haben. In Köln kennen wir uns bestens aus, da wissen wir, wie die Menschen ticken. In die Konfliktfelder und Eigenarten anderer Städte müssen wir uns erst einarbeiten und einfühlen. 

EZ: Zum Beispiel beim ersten Kieler „Tatort“, den wir gemacht haben, da gab es den Wunsch der Redaktion, den Brennpunkt-Stadtteil Gaarden zu bespielen. Bei den Recherchen sind wir immer wieder auf die extrem hohe Kinderarmut gestoßen und haben dann eine Geschichte erzählt, die sich dieses Themas annimmt.

Wie experimentell darf ein „Tatort“ sein?

EZ:  Ein „Tatort“ muss spannend sein, egal ob experimentell oder konventionell. Aber bei der Fülle von „Tatorten“ gibt es für meinen Geschmack zu wenig Experimentelles, zu wenig Murot. Da kann man dem Zuschauer ruhig mehr anbieten, Sehgewohnheiten durchbrechen und ihn aus der sonntäglichen Komfortzone locken. Aber die Diskussion führen wir immer wieder: Darf man das machen, oder steigt der Zuschauer aus? 

VZ: Wir wundern uns allerdings manchmal, wie gut einige Leute „den Zuschauer“ zu kennen glauben, und aus lauter Angst, das Publikum zu überfordern, auf die Bremse treten. Zum Glück gibt es viele Redakteurinnen und Redakteure, die mutig genug sind, um dramaturgisches oder erzählerisches Neuland zu betreten – und zwar ohne damit ein Quoten-Desaster anzurichten. Die Streaming-Portale mit ihrer Vielzahl an Geschichtenkonzepten haben die Sehgewohnheiten des TV-Publikums verändert, da kann man als „Tatort“-Macher nicht so tun, als sei die Zeit stehengeblieben. 

Sind die Verantwortlichen nicht mutig genug?

VZ: Wir spüren die Verantwortung, die die Redaktionen für das Format haben. Der „Tatort“ ist neben den großen Sportereignissen das letzte kollektive Guck-Erlebnis. In einer sich dramatisch verändernden Fernsehlandschaft ist der „Tatort“ für die ARD ein echtes Juwel. Die Angst, bei diesem Format irgendwas falsch zu machen, ist entsprechend groß… und nachvollziehbar. Wie viel darfst du wagen, ohne dein Stammpublikum zu vergraulen, wie viel musst du riskieren, um neue Zuschauer zu gewinnen?  

EZ: Der „Tatort“ war viel zu lange eine Bastion alter weißer Männer, zu formatiert, zu berechenbar. Das hat sich zum Glück geändert. Es ist gut, dass die Sender jetzt auch junge aufregende Talente schreiben, inszenieren und spielen lassen, es ist gut, dass der „Tatort“ bunter und vor allem weiblicher geworden ist.

Haben Sie eine Erklärung, warum der „Tatort“ diese Sonderstellung im deutschen Fernsehen hat?

VZ: Der Sendeplatz am Sonntagabend hat großen Anteil am Erfolg des Formats, das ist fast wie eine kollektive Einschalt-Verabredung, um am nächsten Morgen – auch mit einem Gesprächsthema – in die neue Woche zu starten.  

EZ: Vielleicht ist der „Tatort“ in dieser aus den Fugen geratenen Welt auch eine wichtige Konstante. Der „Tatort“ hat Tradition. Gibt es irgendein Format im deutschen Fernsehen – außer der „Tagesschau“ –, das seit 50 Jahren läuft? Viele Kommissare sind gemeinsam mit den Zuschauern gealtert, andere frische Gesichter sind dazu gekommen. Bei allem – zum Teil berechtigten – Gemecker sorgt der „Tatort“ doch immer wieder für echte Highlights und Sternstunden der Fernsehunterhaltung. Er ist eine kalkulierbare Wundertüte, irgendwie weiß man, was drin ist, wird aber trotzdem immer wieder überrascht. 

(Interview: Anne Burgmer, Foto: Max Grönert))


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