Eva Zahn & Volker A. Zahn
Drehbuchautoren



Aktuelles


Die von Eva Zahn und Volker A. Zahn erfundene und geschriebene Serie „Zarah - Wilde Jahre“ wurde zwar von den meisten TV-Kritikern hochgelobt (siehe „Pressestimmen“), erfüllte aber offensichtlich nicht die Quoten-Erwartungen des ZDF. Nach nur zwei (!) Folgen verbannte der Sender das Format sang- und klanglos ins assoziierte ZDFneo. Über die Gründe, warum „Zarah - Wilde Jahre“ beim Publikum durchfiel und wie viel Schuld das ZDF an diesem Quoten-Flop trägt, schrieb der TV-Kritiker Hans Hoff im Branchen-Magazin DWDL. Wir dokumentieren seine erboste Analyse in Auszügen:

„Ich hole jetzt mal den Dampfhammer raus, und sehr wahrscheinlich übertreibe ich, wenn ich die Entscheider in einem sehr großen deutschen Sender nun ein bisschen beleidige. Aber es geht nicht anders. Ich glaube, dass die beim ZDF entweder einen Hau haben oder keine Ahnung von gar nichts. Und ich weiß noch nicht mal, welche der Alternativen die schlimmere wäre.

Es geht um „Zarah – Wilde Jahre“, eine Serie, die sich ambitioniert mit dem Geschehen in einer Illustrierten-Redaktion der Siebziger auseinandersetzt. (…) Ich mag die Serie, auch wenn ich mich mit dem von ZDF vergebenen Titel „Journalisten-Serie“ nicht anfreunden mag. Ich glaube gar: Liefe sie bei Netflix, würde sie längst als der neue heiße Scheiß durch die sozialen Netzwerke wabern und hundertfach empfohlen werden, aber sie läuft nun mal beim ZDF. (…)

Was mich umtreibt, ist die Art und Weise, wie die beim ZDF mit der Serie umgegangen sind. Die haben sie, mal in dürren Worten zusammengefasst, erst hoch gelobt für ihre Ambition, ihr dann kurz vor dem Sprung ein Bein gestellt, und als sie dann humpelnd nicht mehr ein noch aus wusste, im Sender-Nirwana versenkt. Ein Flop mit Ansage quasi, der nahelegt, dass da irgendwer schwer subversiv dem Produkt schaden wollte. Oder unfähig ist.

Dabei klang alles vorab noch so prima. „Uns ist allerdings bewusst, dass man bei Drama-Serien häufig einen längeren Atem benötigt.“ Das hat Heike Hempel im DWDL.de-Interview gesagt, und es klang doppelt gut, weil sich die Frau eigentlich mit Serien auskennt und dann auch noch als Hauptredaktionsleiterin Fernsehfilm/Serie II firmiert.

Man hätte an dieser Stelle aber schon stutzig werden müssen, weil das Gerede vom längeren Atem, den man benötigt, nur sehr bedingt zusammenpasst mit gerade mal sechs beauftragten Folgen. Sechs Folgen sind das Minimum bei einer Serie, darunter verdienen die Folgen den Titel Serie kaum, da kann man sie als Mehrteiler verkaufen. Aber als Serie?

Man hätte noch ein bisschen stutziger werden müssen, als man feststellte, dass man „Zarah“ im Doppelpack anbot mit „Das Pubertier“. Aber da hatte man dieses Zusatzprodukt noch nicht gesehen und wusste nicht, dass das ZDF-Pubertier zwar nicht ganz so furchtbar ausfällt wie die Kinoversion, aber in keiner Szene den Geist atmet, der Jan Weilers Kolumnen und Bücher so brillant macht. Vielmehr handelt es sich um eine durchschnittliche Feelgood-Serie, in der alles viel zu bunt und viel zu offensichtlich ist. Im Prinzip kann man sich aber, wenn man „Zarah“ daneben setzt, kaum einen größeren Niveausprung zwischen zwei Produkten vorstellen. So viel zur unglücklichen Paarung.

Dann kam die Terminierung hinzu. An den Start ging das Serien-Doppelpack am Donnerstag, 7. September. Ich hatte nichts dagegen einzuwenden. Bis ich feststellte, dass das nächste Doppelpack nicht am darauf folgenden Donnerstag ausgestrahlt werden sollte, sondern erst zwei Wochen später.

Ich meine, wie bescheuert muss man sein, um eine Miniserie mit gerade mal sechs Folgen direkt nach der Premiere auszusetzen? Das lernt man doch auf der Häschenschule für Serien, dass eine Serie auch davon lebt, dass man sie mit einer gewissen Regelmäßigkeit schauen kann. Serie und Gewohnheit sind ja quasi Schwestern.

Aber nein, am Donnerstag nach der Premiere, musste die Kanzlerin interviewt werden. Das wusste man lange vorher. Das war auch ein richtiges, ein wichtiges Interview, um das die Planer frühzeitig wussten. Aber wenn man so etwas weiß, dann startet man doch nicht eine Woche vorher ein Seriendoppelpack. Wie muss man drauf sein, um das angebracht zu finden? Ich erwähne dazu noch, dass nach dem ursprünglichen Sendeplan am 5. Oktober eigentlich wegen eines Fußballländerspiels bei RTL auch wieder eine Pause vorgesehen war, die allerdings diesmal auf dem ursprünglichen Sendeplatz nur „Das Pubertier“ traf, während "Zarah" um 0.30 Uhr mit der eigentlich für eine Woche später vorgesehenen vierten Folge ranmusste. Nur mal für die Akten zusammengefasst: Eine gerade mal sechsteilige Serie, die ohnehin schon nicht viel Zeit hat, Gewohnheit aufzubauen, wird zweimal unterbrochen. Muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.

Aber zurück auf Anfang. Da gingen also „Das Pubertier“ und „Zarah“ erst nach 14 Tagen Pause mit der zweiten Folge an den Start, in der Hoffnung, die nicht ganz so starken Quoten der Premiere wieder auszubügeln. Natürlich ging auch der zweite Serientag quotentechnisch in die Miesen, woraufhin man beim ZDF Entschlusskraft zeigte und „Zarah“ zu ZDFneo und in die tiefe ZDF-Nacht verbannte. So viel zum Thema „langer Atem“.

Nun kann man einwenden, dass „Zarah“ durch den Move zu ZDFneo ja immerhin den Sendeplatz um 21 Uhr behalten konnte, was aber verkennt, dass es für manche Menschen, besonders ältere, einen Unterschied macht, ob etwas im Hauptprogramm läuft oder in der Sparte. Menschen, für die es wurscht ist, wo ein Programm läuft, können in der Regel streamen, dem normalen ZDF-Zuschauer über 60 traue ich mehrheitlich so viel Flexibilität nicht zu. Sonst würde er nicht klaglos die ganzen Sokos schauen.

Wahrscheinlich wundert man sich beim ZDF immer noch, dass die Quoten auch auf den Alternativplätzen nicht berauschend ausgefallen sind. Echt jetzt? Nicht so doll? Ja, wie konnte das geschehen? Nachdem der Sender doch alles getan hat, um jeden Hauch von Zuschauerbindung schon im Ansatz zu ersticken.

Und "Das Pubertier"? Das wurde am Donnerstag als Doppelpack ausgestrahlt, erzeugte aber selbst in der Massierung kein Quotenwunder. Ja, Mensch, manchmal steckt man echt nicht drin in diesen Zuschauern. Ich glaube vielmehr, dass in den verantwortlichen ZDF-Menschen nichts drin steckt. Ich rede nicht von einem Entscheider. Es müssen mehrere sein. Da bin ich mir ganz sicher. Einer allein kann gar nicht so viele Fehler machen. Das geht nicht. Zumindest nicht in meinen Kopf rein.

Ja, ich weiß: Man kann sich das alles auch in der Mediathek ansehen. Da stehen inzwischen alle sechs "Zarah"-Folgen zum Binge-Watchen bereit, während das ZDF mit der linearen Ausstrahlung noch hinterher hinkt, was aber inzwischen eh schon wurscht ist.

Deshalb rege ich mich jetzt ab und sage nur noch einmal, dass die beim ZDF einen Hau haben. Und dann schicke ich die dringende Empfehlung hinterher, sich diese Serie in der Mediathek anzuschauen. Sie ist liebevoll ersonnen und produziert, sie zeichnet ein schönes Bild der Zeit, in der sie spielt, und sie hat mit Claudia Eisinger eine sehr beeindruckende Darstellerin, die ihrer Titelheldin echten Drive gibt. In einem Interview sagte sie, dass Zarah ein schönes Gefühl dafür gebe, wie es sei, wenn man immer alleine kämpfe, wenn einen niemand versteht, wenn man seiner Zeit voraus ist. Das galt für die Arbeit der Titelfigur bei der Zeitschrift "Relevant“. Aber es gehört nicht viel Phantasie dazu, eine Parallele zu ziehen zwischen dem 70er-Jahre-Männermuff bei „Relevant" und der schon an Boshaftigkeit grenzenden Dilettanz beim ZDF. Wenn man also wissen will, wie die in Mainz ticken, dann schaue man diese Serie. Bitte! Guckbefehl!“

Vollständiger Text unter: https://www.dwdl.de/hoffzumsonntag/63726/zarah_im_zdf_ein_vermeidbarer_fehlschlag/

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„'Zarah – Wilde Jahre' besitzt für hiesige Verhältnisse ein ungewöhnliches Konzept: eine Primetime-Serie als historisches Drama, das ein Stück weit auch deutsche Emanzipations- und Mediengeschichte schreibt. Der Serie liegt ein gut recherchiertes Drehbuch zugrunde, bei dem man auch im Detail erkennen kann, dass hier ehemalige Journalisten am Werke waren. Die 'Relevant'-Mitarbeiter besitzen bei aller – vermeintlich klischeehaften – Überspitzung einen wahrhaftigen Kern, und einige entpuppen sich im Laufe der Handlung als vielschichtiger, als auf den ersten Blick angenommen. Die Besetzung kommt bis in die kleinsten Rollen ohne Schwachpunkte aus. Die Gewerke nehmen einen mit in die Zeit, suchen aber auch – wie die Geschichte – Zugang zum Hier & Heute. Zwar kommt bekanntlich alles wieder, aber eine Erscheinung wie diese Zarah Wolf, ob im samtenen Hosenanzug oder im unverschämt knappen Mini und in ähnlicher weiblicher Kriegsbemalung, wäre auf den Straßen von Berlin oder Hamburg auch heute ein Hingucker, keine, bei dem man sich wundern würde. Nichts wirkt in 'Zarah' übertrieben ausgestellt (nicht einmal die Hosen). Ausstattung und Kostüm lenken nicht von den Geschichten ab, ein sicheres Händchen besitzt Regisseur Richard Huber ('Dr. Psycho', 'Tatort') selbst bei der Darstellung einer augenzwinkernd angedeuteten Sex-Orgie. Überhaupt, Drama-Serie klingt zu schwer für diese ZDF-Serie, von der sich der krimimüde Teil der Fernsehzuschauer noch sehr viele Folgen erhoffen wird. Dramedy erfasst 'Zarah' ebenso wenig. Wozu auch Genre-Kategorien, einfach gucken!“ (TV-Kritiker Rainer Tittelbach über die neue Serie von Eva Zahn und Volker Zahn: http://www.tittelbach.tv/programm/serie/artikel-4696.html).

In der Mediathek des ZDF ist die erste Folge bereits seit dem 24. August abrufbar (https://www.zdf.de/serien/zarah-wilde-jahre/zarah---wilde-jahre-100.html), im Hauptabendprogramm geht "Zarah - Wilde Jahre" ab dem 7. September (um 21 Uhr) auf Sendung.

Und hier die weiteren Sendedaten:

Folge 2: Online ab 07. 9., Sendung: 21. 09. 2017 um 21 Uhr

Folge 3: Online ab 14. 9., Sendung: 28. 09. 2017 um 21 Uhr

Folge 4: Online ab 21. 9., Sendung: 12. 10. 2017 um 21 Uhr

Folge 5: Online ab 28.9., Sendung: 19. 10. 2017 um 21 Uhr

Folge 6: Online ab 5. 10., Sendung: 26. 10. 2017 um 21 Uhr

Alle Infos zur Serie sowie Interviews mit den Machern gibt's unter: https://www.zdf.de/serien/zarah-wilde-jahre

2 Kommentare

Sie waren bunt, sexy, wild und beseelt von dem Glauben an eine andere, gerechtere Welt. Aber im fiktionalen deutschen Fernse­hen fanden sie bislang kaum statt: die Siebziger! Den braunen Muff endgültig ausmisten, mehr Demokratie wagen, Frauen an die Macht, „runter mit dem Männlichkeitswahn!"… wir dachten damals wirklich, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis alles besser wird. Der Soundtrack unserer Hoffnungen war funky, die Filme, die un­sere Sehnsüchte bebilderten, waren rotzig und frech, und in Wohnungen und Klamottenläden explodierten die Farben. Die großen Reformen im Abtreibungs-, Familien- und Scheidungs­recht, Frauen durften endlich ohne Einwilligung ihrer Ehemänner arbeiten, die Fristenregelung, eine neue Bildungspolitik, die für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen sollte, Volljährigkeit mit 18, die Einführung zentraler Notrufnummern… – der Fortschritt fand auf allen gesellschaftlichen Ebenen statt, und notorische Nostalgiker schwärmen verzückt: „Früher war alles besser!“

Aber dass früher nicht alles besser, sondern vieles anders war, und dass wir ein halbes Jahrhundert später noch immer für das kämpfen, was uns in den Siebzigern zum Greifen nahe schien, macht dieses Jahrzehnt für uns als Erzähler so reizvoll. Der Ab­wehrkampf der Alpha-Männer gegen Frauen in Führungspositio­nen, Sexismus in den Medien, häusliche Gewalt, ungleiche Be­zahlung, der ganz alltägliche Chauvinismus – das sind Themen, die in den 70ern auf die Agenda kamen und 2017 nichts von ihrer Brisanz verloren haben. Wir wollen mit "Zarah" eben keine muse­alen Sehnsüchte bedienen, die Serie ist keine History-Show. Wir erzählen Geschichten aus einer anderen Zeit, die noch immer Aktualität besitzen, mit Figuren, die heutig sind.

Exotisch mutet indes der Journalismus dieser Jahre an: Die „vierte Gewalt“ im Staate, selbstbewusst bis zur Selbstüberschät­zung, irgendwo zwischen Heldentum und Größenwahn taumelnd, überzeugte Wahrheitssucher und leidenschaftliche Rechercheure, noch nicht bedrängt von Kostendrückern im eigenen Haus oder rufgeschädigt von den Blog-Warten und Fake News-Pöbelanten aus der digitalen Welt. Journalist gehörte in den Siebzigern in die Kategorie „Traumberuf“. Ein Traumberuf, der den meisten Frauen indes verschlossen blieb. Erst eine neue, mutige Generation von Redakteurinnen und Autorinnen wagte sich in das Minenfeld des Presse-Machismo, Frauen wie Ingrid Kolb, Peggy Parnass, Alice Schwarzer oder Wibke Bruns. Frauen, die – ähnlich wie unsere weiblichen Figuren in „Zarah“ – ihre ganz speziellen Strategien entwickeln mussten, um sich unter all den „dicken Eiern“ Respekt zu verschaffen.

Zeitlos wie der Geschlechterkampf sind auch die großen persönli­chen Themen, die in „Zarah“ verhandelt werden: Liebe, Familie, Tod, Schuld und Verrat. Es ist für uns Autoren ein großes Privi­leg, Figuren auf einer Strecke von sechs (und hoffentlich noch viel mehr) Folgen entwickeln zu dürfen, zu zeigen, wie sie ihr Le­ben auf die Reihe kriegen oder in den Sand setzen, wie sich ihre kleinen und großen Geheimnisse langsam entblättern, wie sie gegen innere und äußere Dämonen kämpfen, wie sie lieben, streiten, scheitern, intrigieren, saufen und vögeln!

Keine unserer Figuren hat ein reales Vorbild, aber wir haben uns natürlich schamlos in der Wirklichkeit bedient. Nicht dokumenta­risch, sondern wahrhaftig erzählen, ist unser Anspruch, und dass unsere Serie die Zuschauer unterhält, berührt, mitfiebern, mitla­chen und mitleiden lässt und sie entführt in eine Welt, die so nah ist, obwohl sie Galaxien entfernt zu sein scheint.

Die sechsteilige Serie "Zarah - Wilde Jahre" wird ab 7. September immer donnerstags um 21 Uhr im ZDF ausgestrahlt.

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Anlässlich der Weltpremiere des Loveparade-Dramas „Das Leben danach“ auf dem Filmfest München (Ausstrahlung im Ersten am 27. September um 20, 15 Uhr) haben Eva Zahn und Volker A. Zahn dem WDR ein Interview zu den besonderen Herausforderungern dieses Fernsehspiel-Projekts gegeben.

WDR: Was war zuerst da: der Impuls, sich mit der „Love Parade“-Katastrophe auseinanderzusetzen, oder die Idee, die Geschichte eines Menschen zu erzählen, der eine Katastrophe überlebt hat?
Volker A. Zahn: Erster Impulsgeber war unser Produzent Valentin Holch, mit dem wir uns sehr schnell einig waren, die Betroffenen in den Mittelpunkt unserer Geschichte zu stellen. Die Frage, wer wie schwer Verantwortung für die vielen Opfer trägt, muss juristisch geklärt werden, eine fiktionale Aufarbeitung des Schuld- oder Ursachenkomplexes fanden wir deshalb unangebracht.


WDR: Stattdessen erzählt Ihr Buch auch eine Liebesgeschichte...
Eva Zahn: Ja, das war uns nach den Gesprächen mit Betroffenen sehr wichtig: Es gibt bei vielen Traumatisierten eine tiefe Sehnsucht nach Liebe, nach einer intakten Beziehung, danach, gemocht, angenommen und ausgehalten zu werden... Auch wenn es kitschig klingt: Ohne Liebe ist das Leben schwer auszuhalten, das ist der Hoffnungsschimmer, den wir unbedingt ans Ende unserer Geschichte setzen wollten.


WDR: Wie schwer war es, sich in Antonias Situation hineinzuversetzen, und wer/was hat Ihnen dabei geholfen?
Volker A. Zahn: Wir sind es gewohnt, verschiedenste Charaktere zu entwickeln und uns in sie einzufühlen, aber bei Antonia war die Herausforderung natürlich besonders groß, weil das Trauma, mit dem sie zu kämpfen hat, auf einem realen Unglück fußt. Wir haben mit Betroffenen der Katastrophe geredet, und mit Sybille Jatzko stand uns außerdem eine Trauma-Therapeutin zur Seite, die große Erfahrung mit der Betreuung von Opfern und Hinterbliebenen großer Unglücke – u. a. auch der Loveparade – hat.


WDR: Wie aufwändig waren die Recherchen für den Film generell?
Eva Zahn: Wir recherchieren vor jedem Drehbuch sehr intensiv, führen lange Gespräche, lesen viel, lassen uns beraten... das gehört zu unserem Job. Der Teil der Recherche, der uns bei diesem Film am meisten berührt und bedrückt hat, waren die Gespräche mit den Betroffenen. Zu sehen, wie Menschen, die einfach nur ein bisschen feiern wollten, nach dieser Tragödie nicht mehr in den Alltag zurückfinden, wie sie ihre Lebensträume begraben mussten, wie die kleinsten Herausforderungen des Alltags unüberwindbar werden, wie diese Menschen tagtäglich um Würde und Anerkennung kämpfen müssen...


WDR: Dass Antonia die Gedenkstätte zerstört, irritiert zunächst einmal, doch ihre Erklärung ist nachvollziehbar. Dass sich die Überlebenden vergessen fühlen und darunter leiden, dass die Hauptaufmerksamkeit den Todesopfern gilt, ist das ein verbreitetes Phänomen?
Eva Zahn: Nach so einer Katastrophe kehrt ja irgendwann der Alltag wieder ein. Dann müssen die Hinterbliebenen mit ihrem Verlust weiterleben – und die Traumatisierten mit ihren inneren Dämonen. Es gibt eben viele Überlebende, die sehr große Probleme mit dem Überleben haben. Das können Schuldgefühle sein, Albträume, Schlafstörungen, Panikattacken und vieles mehr. Und die Folgen sind oft weitreichend: Gestörte soziale Beziehungen, Verlust des Arbeitsplatzes, Flucht in Drogen und Alkohol bis hin zum Selbstmord. Aber sieben Jahre nach der Katastrophe nehmen in der Gesellschaft und im Umfeld der Betroffenen Verständnis und Mitgefühl zunehmend ab. Sprüche wie „Jetzt ist auch mal gut“ oder „Reiß dich gefälligst zusammen“ sind schwer zu ertragen, wenn gar nichts gut ist.
Volker A. Zahn: Es haben sich ja auch einige Menschen umgebracht, die mit den Folgen des Unglücks nicht klargekommen sind, das sind Opfer, die in keiner offiziellen Statistik auftauchen, auch das macht viele Betroffene wütend.


WDR: Wird den Überlebenden Ihrer Meinung nach genügend geholfen? Bei der Selbsthilfegruppe, die Antonia besucht, zeigen Sie Menschen, die sich nahezu zwanghaft mit dem Thema auseinandersetzen, gar nicht loslassen können...
Eva Zahn: „Seit dem 24. Juli 2010 kämpfen wir um Hilfe, und wir halten uns nur noch gegenseitig über Wasser, um nicht unterzugehen.“ Das war vier Jahre nach dem Unglück das bittere Fazit des Vereins LoPa-2010. Soweit wir wissen, gibt und gab es in Duisburg und Umgebung nicht genügend Therapieplätze für die zahlreichen schwer traumatisierten Patienten, auch wenn sich die LoPa 2010 bzw. ab 2015 die Stiftung „Duisburg 24.07.2010“ nach Kräften bemüht haben, da Abhilfe zu schaffen. Und auch finanziell ist viel zu wenig passiert. Bei Verlust der Arbeitsfähigkeit ist der soziale Abstieg vorprogrammiert. Juristisch werden wir ja jetzt sehen, ob etwas passiert, und wenn ja, was. Es ist also nachvollziehbar, wenn sich die Betroffenen alleingelassen fühlen und die Nähe zu Menschen suchen, die Gleiches erlebt haben. Andererseits gibt es aber auch zahlreiche Betroffene, die nicht mehr an die Katstrophe und das, was mit ihr zusammenhängt, erinnert werden wollen. Jeder hat seine eigene Geschichte, jeder versucht, anders mit dieser traumatischen Erfahrung klarzukommen.
Volker A. Zahn: Natürlich können viele Betroffene nicht einfach loslassen oder aufhören, sich – mitunter auch zwanghaft – mit der Loveparade-Tragödie zu beschäftigen: Dieses Unglück hat ihr Leben zerstört, diese Menschen sind ja keine Spinner, die möchten, dass sich die Welt nur noch um sie dreht, sie müssen „einfach nur“ tagtäglich damit klarkommen, dass ihr Leben in Trümmern liegt.


WDR: Mit der Figur Sascha spielt auch einer der Menschen eine zentrale Rolle, die die Katastrophe erst möglich gemacht haben. Warum war Ihnen das inhaltlich und dramaturgisch wichtig?
Eva Zahn: Es gibt ja nicht den einen Schuldigen, der die Loveparade-Tragödie zu verantworten hat, viele Menschen haben sich schuldig gemacht, manche mehr, manche weniger, und Sascha steht für einen dieser vielen Schuldigen. Er steht aber auch für die Frage nach dem Umgang mit der eigenen Schuld. Gibt es bei 21 Toten, mehr als 600 Verletzten und zahllosen Traumatisierten einen „angemessenen“ Umgang mit Schuld?
Volker A. Zahn: Wir wissen nicht, wie sich diejenigen, die für diese Tragödie verantwortlich sind, fühlen, wenn sich die Tür hinter ihnen schließt. Wir haben deshalb mit Sascha eine Kunstfigur kreiert, die unter seiner Mitschuld leidet, aber zu feige ist, offen für sein moralisches Versagen einzustehen, er duckt sich weg, geht in die innere Emigration, bricht fast alle Brücken hinter sich ab, aber diese Strategie ist auf Sand gebaut und geht nur solange auf, bis er Antonia begegnet...

WDR: Höchstwahrscheinlich wird der Film von Menschen geguckt, die direkt von diesem furchtbaren Unglück betroffen sind. War das beim Schreiben belastend für Sie?
Eva Zahn: Ja, wir haben deutlich die Verantwortung gespürt, und obwohl wir eine fiktive Geschichte erzählen, die nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt, hoffen wir inständig, dass die Betroffenen sich durch den Film verstanden fühlen und vielleicht auch in Zukunft etwas mehr Aufmerksamkeit und Verständnis erfahren werden.


WDR: Die Geschehnisse um die „Love Parade“ werden nun doch vor Gericht verhandelt. Sie haben sich intensiver mit der Katastrophe beschäftigt als viele andere. Was hat Sie überrascht, was empört, was fassungslos gemacht?
Eva Zahn: Dass es sieben Jahre gebraucht hat, bis doch endlich ein Strafverfahren eröffnet wird. Dass bestimmte Leute nicht auf der Anklagebank sitzen, und wie kaltschnäuzig sich einige maßgeblich Mitschuldige nach dem Unglück verhalten haben.
Volker A. Zahn: Mich hat jeder Gang durch den Karl Lehr-Tunnel fassungslos gemacht. Wie man eine Veranstaltung, bei der mehrere Hunderttausend Besucher erwartet wurden, mit diesem Ort als Zu- und Abgang genehmigen konnte, ist einfach nur komplett irrsinnig.


WDR: Trotz des traurigen Themas gibt es auch Humor in dem Film. Ist das bewusst konstruiert, um den Zuschauern eine Atempause zu ermöglichen, oder ergibt sich bei Ihnen so etwas einfach beim Schreiben?
Volker A. Zahn: Unser Anspruch ist es, wahrhaftig zu erzählen, und Humor gehört einfach zum Leben, ganz besonders im Ruhrgebiet und erst recht, wenn das Leben kaum zu ertragen ist.


WDR: Sie kennen Nicole Weegmann von anderen gemeinsamen Projekten. Was sprach dafür, dass sie auch bei „Das Leben danach“ Regie führt?
Volker A. Zahn: Mit Nicole verbindet uns eine langjährige Freundschaft, und wir wissen, dass unsere Drehbücher sehr gut bei ihr aufgehoben sind. Wir haben einen sehr ähnlichen Blick auf Figuren, und sie liest auch das, was zwischen den Zeilen steht, immer mit.
Eva Zahn: Und gerade für die Umsetzung von „Das Leben danach“ war sie die Richtige, weil sie eine sehr sensible und genaue Regisseurin ist.

Zu „Das Leben danach“ hat Volker A. Zahn auch dem SWR-Radio ein Interview gegeben. Nachzuhören unter: https://www.swr.de/swr2/kultur-info/loveparade-katastrophe-film/-/id=9597116/did=19990306/nid=9597116/8y9woi/index.html

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„London Calling“ – davon träumt Antonias Vater, der von Martin Brambach gespielte Halb-Punk und Gitarrenlehrer, immer noch. So wie Duisburg vom Techno träumte und eine ganze Region von einem Neuanfang. Antonia (Jella Haase) gehört zu den Überlebenden der Katastrophe bei der Love Parade. Noch sieben Jahre danach weiß sie nicht, wohin mit ihrer Trauer, mit ihrem Zorn auf die Schuldigen und ihren Schuldgefühlen gegenüber denen, die es nicht geschafft haben.
Als sie eines Abends die Gedenkstätte verwüstet, trifft sie dort den Taxifahrer Sascha (Carlo Ljubek). Auch sein Leben zerbrach vor sieben Jahren: Er trennte sich von seiner Frau und verlor seine Stellung als Mathematiker. Auch er war im Tunnel. Sagt er. Doch Antonia, die sich in Sascha verliebt, deckt seine Lüge auf und hat nun ein Ziel für ihre hilflose Zerstörungswut gefunden.
Der von Eva Zahn und Volker A. Zahn geschriebene Fernsehfilm „Das Leben danach“ (Regie: Nicole Weegmann) feiert auf dem diesjährigen Münchener Filmfest Weltpremiere und ist für den Bernd Burgemeister Fernsehpreis 2017 nominiert.
Alle Infos zum Film und zu den Vorführungen auf dem Filmfest München: http://www.filmfest-muenchen.de/de/programm/filme/film/?id=5403
Den Film-Trailer gibt‘s hier zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=W05tbInf8eM

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